Die ukrainische Vorgeschichte

Stopp NATO OsterweiterungUm gegen die im Dienste der NATO stehenden hyperventilierenden Politiker und Medien gewappnet zu sein, sollte man mit den Hintergründen des Ukrainekonflikts vertraut sein.
von Eric Angerer

Regierungsmitglieder der NATO-Staaten stellen Wladimir Putin als üblen Despoten hin, der aus Machtgier ein armes Nachbarland überfällt. Der österreichische Außenminister zog gar den Vergleich mit Hitlers Einmarsch in Österreich 1938. Tatsächlich ist die NATO seit 30 Jahren in Osteuropa der Aggressor gegen Russland. Nach langer Defensive versucht Putin, die zunehmende Einkreisung und Bedrängung zumindest etwas zu begrenzen. In der Ukraine vermischt sich seit zwei Jahrzehnten eine soziale und politische Krise im Land mit einem nationalen Konflikt und einer geopolitischen Auseinandersetzung zwischen NATO und Russland.

Die Ukraine hat etwa 44 Millionen Einwohner und ist mit rund 600.000 Quadratkilometern etwa siebenmal so groß wie Österreich oder fast doppelt so groß wie Deutschland. Die meiste Zeit in der Geschichte war das Gebiet der heutigen Ukraine kein Staat, sondern ein Einflussgebiet von Polen, Russland, den Tataren oder Osmanen. Über viele Jahrhunderte war die Ukraine ethnisch stark gemischt. Die größte Gruppe war die noch nicht genauer differenzierte slawische Bevölkerung. Dazu kamen große Minderheiten von Tataren, Deutschen, Juden und Polen. Bis ins 19. Jahrhundert war unter der slawischen Bevölkerung die „kleinrussische“ Identität vorherrschend, die von einem „dreieinigen russischen Volk“ aus Großrussen, Weißrussen und eben Kleinrussen ausging. Dabei gab es natürlich eine klare großrussische Dominanz. Erst Ende des 19. Jahrhunderts setzte ein ukrainischer Nationsbildungsprozess ein, der von der österreichischen Westukraine ausging, wo er in den habsburgischen Kronländern Galizien und Bukowina von den Behörden gefördert wurde — als Gegengewicht nicht nur zum russischen Panslawismus, sondern auch gegenüber dem in Galizien starken polnischen Nationalismus.

Ukrainische Sowjetrepublik

Mit der siegreichen Oktoberrevolution in Russland wurde — entsprechend Wladimir Lenins Konzept — das Selbstbestimmungsrecht der Nationen proklamiert. Die Mittelmächte, also Deutschland und Österreich-Ungarn, versuchten, den Zusammenbruch der zaristischen Armee für eine Expansion unter anderem in die Ukraine zu nutzen. Dadurch und durch die Wirren des Bürgerkriegs, den reaktionäre Kräfte und imperialistische Mächte gegen die Sowjetmacht anzettelten, entstanden in der Ukraine kurzzeitige antisowjetische und prosowjetische Staatsstrukturen. Schließlich kam es zu einer Aufteilung des Gebietes auf die Sowjetunion, an die der Großteil fiel, sowie auf Polen, die Tschechoslowakische Republik (ČSR) und Rumänien.

Die Grenzen der Ukrainischen Sowjetrepublik wurden aus politischen Erwägungen der sowjetischen Führung so gezogen, dass die russisch geprägten Gebiete der Südukraine und des Donbass der Ukraine zugeschlagen wurden. Die bürokratische und repressive Politik des Stalinismus führte gerade in der Ukraine immer wieder zu Hungersnöten. Aufstände in ländlichen ukrainischen Gebieten wurden nicht nur unterdrückt, sondern auch mit einer Russifizierung beantwortet, was sich besonders in größeren Städten auswirkte, wo die ukrainische Identität ohnehin geringer war. Ebenso benachteiligt waren die Ukrainer in der ČSR, Rumänien und insbesondere in Polen. Das veranlasste Adolf Hitler Ende der 1930er-Jahre zur Unterstützung und Instrumentalisierung der ukrainischen Nationalbewegung.

Der Zweite Weltkrieg brachte für die Ukrainische Sowjetrepublik zuerst einmal eine kurzzeitige Expansion, denn mit dem Hitler-Stalin-Pakt kam das zu guten Teilen ukrainisch besiedelte Ostpolen im Herbst 1939 zur Sowjetunion. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 folgte allerdings eine etwa dreijährige NS-Besatzung, die in der Ukraine etwa 6,5 Millionen Menschen, darunter 800.000 Juden, das Leben kostete. Die Ursachen waren nicht nur Massaker, sondern auch brutale Zwangsarbeit und durch die Besatzer verursachte Hungersnöte. Die Zerstörungen waren so massiv, dass 1945 etwa 10 Millionen Menschen obdachlos waren.

Gegen die NS-Besatzung entwickelte sich, wie überall in der Sowjetunion, auch in der Ukraine eine rege prosowjetische Partisanentätigkeit. Gleichzeitig gab es, vor allem in der Westukraine, auch eine erhebliche Kollaboration mit den Besatzern. Ukrainische Hilfstruppen wurden von der SS als Wachmannschaften der Konzentrationslager (KZ) und bei Massenmorden an Kommunisten, Juden und Polen eingesetzt. Die rechten, nationalistischen Verbände der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) um Stepan Bandera, auf den sich bis heute ukrainische Rechtsextremisten gerne berufen, spielten eine ähnliche Rolle wie die Tschetniks in Jugoslawien oder die EDES in Griechenland: Anfänglich durchaus auch gegen die NS-Besatzer führte sie ihr Antikommunismus schließlich zu einer vorherrschenden Kollaboration mit Wehrmacht und SS. Und dann wurde im Frühjahr 1943, überwiegend aus Kräften der OUN, auch noch die ukrainische Waffen-SS-Division „Galizien“ formiert, die am Höhepunkt mehr als 20.000 Soldaten hatte.

Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges versuchten OUN-Kräfte, mithilfe der britischen und US-Geheimdienstes, noch bis Anfang der 1950er-Jahre in der Westukraine eine Guerillatätigkeit weiterzuführen. Insgesamt setzte aber ab 1945 eine Stabilisierung der Ukrainischen Sowjetrepublik ein. Die Westexpansion der Sowjetunion brachte gerade für diese Teilrepublik eine territoriale Erweiterung, nämlich um die Gebiete, die zuvor zu Polen, der ČSR und Rumänien gehört hatten, und dann auch noch um die 1954 von Nikita Chruschtschow der Ukraine geschenkte Krim. Dazu kam eine nationale Vereinheitlichung, denn die jüdische, deutsche, polnische und tatarische Minderheit waren weitgehend umgebracht oder vertrieben.

Die bürokratische Planung brachte bis in die 1970er-Jahre einen ökonomischen Aufschwung und auch eine weitere Industrialisierung, die in der Ostukraine die ohnehin vorherrschende russische Identität weiter verstärkte. Die Stagnation des autoritären Planungsmodells in den 1980er-Jahren hatte auch auf die ukrainische Wirtschaft entsprechende Folgen und führte auch hier zu einer Enttäuschung bezüglich des vermeintlichen „Sozialismus“. Am Ende standen die Auflösung der Sowjetunion 1991 und die Eigenstaatlichkeit der Ukraine.

Zwischen Russland und Europäischer Union (EU)

Mit der Auflösung der Sowjetunion begann für die Ukraine ein wirtschaftlicher Niedergang. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging von 1991 bis 1995 um 60 Prozent zurück, die Bevölkerung reduzierte sich zwischen 1991 und 2014 um sechs Millionen Menschen. Zwischen 2000 und 2007 gab es dann einen gewissen Aufschwung, von der Krise ab 2008 war die Ukraine aber besonders betroffen und in der Folge von Hilfen Russlands und der EU abhängig.

Zehn Jahre lang, von 1994 bis 2004, regierte der prorussische Leonid Kutschma das Land. In der Auseinandersetzung um seine Nachfolge kam es zur sogenannten Orangenen Revolution, in der westliche Geheimdienste und NGOs bereits stark ihre Finger im Spiel hatten. An die Macht kamen nationalistische Pro-EU-Kräfte um Wiktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, die aber untereinander zerstritten und ausgesprochen korrupt waren. Als dann auch noch die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise dazu kamen, gewann 2010 der prorussische Wiktor Janukowitsch die Wahlen.

Auch für Russland waren die 1990er-Jahre ein Desaster. Unter Boris Jelzin gab es in den Jahren von 1991 bis 1999 korrupte Privatisierungen, eine völlige Kapitulation vor dem Westen und einen Niedergang der Wirtschaft. Als Folge davon konnte die NATO nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Polen und ins Baltikum expandieren. Mit Putins Machtübernahme im Jahr 2000 änderte sich das aber wieder teilweise: Es gab einen deutlichen Wirtschaftsaufschwung; nach offiziellen Zahlen stieg zwischen den Jahren 2000 und 2010 das BIP um 97 Prozent, die Industrie um 47 Prozent und die Löhne um 142 Prozent. Die Oligarchen konnten bei Unterordnung unter die Regierungspolitik weiter fett absahnen, wurden aber einer gewissen staatlich-autoritären Kontrolle unterstellt. Und Putin zeigte wieder mehr Stärke in der Außen- und Militärpolitik. Russland leistete gegenüber der westlich-imperialistischen Expansion wieder gewissen Widerstand ... im Iran, in Georgien, in Syrien und eben in der Ukraine.

Die Ukraine ist ein Land mit vielen Bodenschätzen, unter anderem verschiedene Metalle und Kohle. Im Osten des Landes dominiert die Schwerindustrie, im Westen die Landwirtschaft. Die ukrainischen Böden sind ausgesprochen fruchtbar. Sechs bis zehn Oligarchen — wie etwa Alexander Jaroslawski oder Dimitrij Firtasch — besitzen de facto alles, von diversen Konzernen bis zu TV-Stationen; sie plündern das Land und haben großen politischen Einfluss. In der Ukraine besteht ein offen korrupter Gangsterkapitalismus. Die chronische Wirtschaftskrise wurde auch noch durch einen Währungseinbruch, eine Kapitalflucht und ein massives Handels- und Budgetdefizit verschärft. Allein in den Jahren 2010 bis 2012 ist die Firmenzahl um 600.000 zurückgegangen (hauptsächlich Kleinbetriebe), und 2013 ging diese Entwicklung weiter.

Die ökonomische Krise führte zu einer sozialen. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung lebten in Armut, das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 200 Euro und es gibt kaum mehr eine staatliche Krankenversicherung. Die Lebenserwartung von Männern lag 2013 bei 63 Jahren.

Fünf Millionen Ukrainer, vor allem aus dem Westen des Landes, leben als Migranten im Ausland, als Arbeiter jeder Art und oft auch als Prostituierte — nicht nur in Westeuropa und den USA, sondern die oft blonden ukrainischen Frauen sind auch in Südeuropa, der Türkei und im Nahen Osten sehr beliebt. Die Migranten haben im Jahr 2013 ganze 9,3 Milliarden Euro in die Ukraine überwiesen und waren damit eine wesentliche Devisenquelle.

Obwohl an sich ein reiches Land, aber unter der Fuchtel von Oligarchen-Ausbeutung und des Weltmarktes brauchte die Ukraine unvermeidlich Hilfe von außen. Die EU wollte in dieser Lage zwar das Assoziierungsabkommen, aber in ihrer neoliberalen Sparlogik nicht einmal eine Milliarde an Unterstützung geben. Da die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Währungsfonds (IWF) außerdem noch eine Gefahr für die nicht „wettbewerbsfähige“ Industrie in der Ostukraine hätte bedeutenkönnen, verweigerte Janukowitsch schließlich im November 2013 das EU-Abkommen. Immerhin hatte Russland 15 Milliarden an Hilfe plus günstige Gaspreise angeboten.

Diese Zurückweisung ihrer Expansionsbestrebungen wollten allerdings weder die EU noch die USA/NATO hinnehmen. Auch Teile der ukrainischen Oligarchen nahmen eine Pro-EU-Haltung ein, weil sie sich davon noch bessere Ausbeutungsgeschäfte erhoffen. Und auch Teile der Bevölkerung der Westukraine wollte näher an die EU, unter anderem, um leichter in die EU-Staaten auswandern zu können. Und schließlich hatten CIA, BND und die Stiftungen des US-Spekulanten George Soros über die Jahre etwa fünf Milliarden Dollar in den Aufbau der Opposition investiert, die USA etwa in Arsenij Jazenjuk, die deutsche CDU besonders in Vitali Klitschko.

Maidan-Putsch und neues Regime

In der sogenannten Euro-Maidan-Bewegung spielte sicher auch soziale Unzufriedenheit eine Rolle. Unter den „Mittelschichten“, die in der ersten Phase mit EU-Fähnchen demonstrierten, waren neben westlich-orientierten Studierenden auch viele ruinierte Kleinunternehmer. Es zeigte sich auch, wie durch eine entschlossene Bewegung eine Regierung gestürzt werden kann.

Aber es war eine dominant reaktionäre Bewegung: Neben EU-Fans, bezahlten NGOS und anderen Handlangern von NATO, USA und Deutschland gab es auch extrem nationalistische Kräfte, wie Timoschenko. Und zumindest in der späteren Phase der Auseinandersetzung waren immer mehr rechtsextreme und offene Nazi-Kräfte vorherrschend, nämlich die Swoboda-Partei um Oleh Tjahnybok und das Schlägertruppen-Bündnis „Rechter Sektor“, Kräfte, die sich auf die Tradition von Stepan Bandera und teilweise sogar der SS berufen. Wie sich später herausstellte, waren im Herbst 2013 mindestens 86 Schläger des Rechten Sektors, organisiert vom polnischen Außenminister Radek Sikorski, von der polnischen Spezialpolizei im Straßen und Häuserkampf ausgebildet worden.

Die Arbeiterklasse war in diesem Konflikt jedenfalls nicht als eigenständige Kraft präsent. Die Janukowitsch-Regierung hatte seit Jahren eine arbeiterfeindliche Politik betrieben, stützte sich auf die Oligarchen Rinat Achmetow, Andrej Klujew und Viktor Pintschuk und die Kooperation mit Russland und seiner Putin-Regierung. Die Maidan-Bewegung wurde von den Oligarchen Julia Timoschenko, Georgi Surkis, Igor Kolomoisky und Petro Poroschenko sowie vom westlichen Imperialismus unterstützt und von Rechtsextremen getragen.

Der von Deutschland im Februar 2014 vermittelte Vertrag zur Bildung einer Einheitsregierung (Janukowitsch plus Jazenjuk, Klitschko und Tjahnybok) wurde von der schärferen US-Linie beiseitegeschoben. Die Janukowitsch-Regierung wurde schließlich gestürzt. Der neue Präsident Alexander Turtschinow und die Übergangsregierung unter Arsenij Jazenjuk sind durch den Straßenkampf faschistischer Banden an die Macht gekommen. Es handelte sich um ein US-Handlanger-Regime mit faschistischer Beteiligung. Konkret waren die Innen- und Verteidigungsminister Arsen Awakow und Andrej Parubi und Generalstaatsanwalt Oleh Machnitsky aus dem Swoboda-Bereich und Juri Odartschenko, der neu ernannte Gouverneur von Cherson, nannte Hitler in einer öffentlichen Ansprache gar einen Befreier.

Die Staatsstrukturen waren für die neue Regierung erst einmal unverlässlich. Manche Polizeieinheiten, die Janukowitsch-loyal gewesen waren, wurden aufgelöst, Soldaten bekamen teilweise wochenlang keinen Sold. Als verlässliche Truppe des neuen Regimes wurde schließlich die Nationalgarde aufgebaut, die sich im Wesentlichen aus den faschistischen Schlägern des Rechten Sektors rekrutierte. Sämtliche neuen Minister kamen aus der Westukraine oder Kiew und einer der ersten Gesetzesentwürfe sah die Aufhebung des Sprachgesetzes vor, das Russisch regional als zweite Amtssprache eingeführt hatte. Das waren klare Ansagen des neuen Regimes an die großen russischsprachigen Bevölkerungsteile.

Gleichzeitig begann ein rechtsextremer Terror gegen die Arbeiterbewegung. Bereits bald nach dem Machtwechsel wurden in Kiew und Lemberg die Büros der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) und der linken Organisation „Borotba“ zerstört und begannen Übergriffe gegen ihre Aktivisten. Um keinen Zweifel mehr zu lassen, organisierte die Regierungspartei Swoboda in Lemberg einen Aufmarsch zur Feier des 71. Jahrestages der Gründung der SS-Division Galizien.

Diese Politik führte einerseits zu einer Opposition der im Osten und Süden der Ukraine dominierenden russischsprachigen Bevölkerung; insgesamt sprachen 2011 laut der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in der Ukraine 39 Prozent vor allem Russisch, 43 Prozent vor allem Ukrainisch, der Rest beides gleich oder andere Sprachen. Andererseits wurde ein politischer und sozialer Widerstand der Arbeiterbewegung gegen das Regime nahezu provoziert.

Im März 2014 kam es innerhalb weniger Wochen zur Lostrennung der Krim, was von Russland aktiv unterstützt wurde, aber auch die große Mehrheit der lokalen Bevölkerung hinter sich hatte. Das Regime in Kiew war zu diesem Zeitpunkt noch relativ handlungsunfähig. Die Scharfmacherin Timoschenko tobte und sprach davon, dass man „diese verdammten Russen zusammen mit ihren Anführern abknallen“ müsse, die Millionen Russen in der Ukraine solle man „mit Nuklearwaffen erledigen“. Die so Angesprochenen entwickelten auch in der Ostukraine eine bewaffnete Widerstandsbewegung; sie hatten dabei wohl einige Helfer aus Russland, aber es spielten in den separatistischen Milizen offenbar auch Afghanistan-Veteranen eine wichtige Rolle — unter den Sowjetsoldaten im Afghanistankrieg in den 1980er-Jahren waren überproportional viele aus der ukrainischen Teilrepublik.

In der ukrainischen Arbeiterbewegung spielte die reformistische, prokapitalistische und prorussische KPU die wichtigste Rolle. Sie hatte die Regierung Janukowitsch unterstützt und 2012 bei den Parlamentswahlen 13,2 Prozent der Stimmen bekommen. Ihre Hochburgen waren nicht nur der russischsprachige Osten und Süden, sondern auch die Zentralukraine. Im Februar 2014 wurden ihre Büros in Kiew von Faschisten zerstört, ihre Aktivisten bedroht und tätlich angegriffen. Im Mai wurden ihre Abgeordneten teilweise vom Parlament ausgeschlossen. Seit 2014 war sie in großen Teilen der Ukraine in ihren Aktivitäten weitgehend eingeschränkt und tendenziell in den Untergrund gedrängt. Ende 2015 wurde die KPU vom neuen Regime in Kiew offiziell verboten.

Klassenkampf und Bürgerkrieg

In den industriellen und mehrheitlich russischsprachigen Gebieten der Ostukraine begann noch 2014 ein blutiger Krieg. In der ersten Phase hatten die Rebellen in den Regionen Donezk und Lugansk, eine diffuse Mischung aus Afghanistan-Veteranen, russischen Nationalisten, Antifaschisten, politischen Abenteurern, einfachen Lohnabhängigen und wütenden jungen Männern, die Oberhand. Mehrere Offensivversuche des rechten ukrainischen Regimes scheiterten, anfänglich oft auch am Widerstand der unbewaffneten Zivilbevölkerung und daran, dass sich Soldaten weigerten, auf die Bevölkerung zu schießen. Teilweise sind auch Polizisten und Soldaten zu den Aufständischen übergelaufen. Das Regime musste teilweise offen einräumen, dass die Truppen illoyal sind und es ganze Regionen außer Kontrolle verloren hat.

In diesen ersten Phasen wurden die Regionen Donezk und Lugansk vorübergehend hintangestellt. Es gab aber auch damals bereits brutale Einsätze der neu aufgerüsteten Nationalgarde, also der Faschisten, etwa in Slawjansk und Mariupol, wobei zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen; dadurch stellte sich die Bevölkerung immer klarer hinter die Rebellen. Vor allem konzentrierte sich das Regime aber anfänglich darauf, die Regionen Charkow und Odessa rasch unter völlige Kontrolle zu bringen, um eine Ausweitung des Aufstandes in diese Gebiete im Keim zu ersticken. Dazu wurde der lokale Widerstand brutal unterdrückt. In Charkow, wo es Großdemonstrationen gegen das neue Regime gegeben hatte, wurden durch Terror der Nationalgarde die Proteste und die Arbeiterbewegung zerschlagen.

In Odessa gab es ein richtiges Massaker, das offenbar von Präsident Turtschinow, den rechtsextremen Ministern Arsen Awakow und Andrej Parabui und dem Oligarchen Igor Kolomoisky organisiert wurde; Letzterer soll sogar Prämien von 5.000 Dollar für jeden getöteten „Separatisten“ ausgesetzt haben. In den lokalen Protesten von Odessa war die Arbeiterbewegung stark gewesen und es gab am 1. Mai noch eine eindrucksvolle Demonstration. Am 2. Mai wurden allerdings aus der West- und Zentralukraine etwa 1.400 Mörder des Rechten Sektors und ein Bataillon, das Kolomoisky zur Verfügung gestellt hatte, mobilisiert, die mit Baseballschlägern und Schusswaffen ausgerüstet begannen, Regimegegner anzugreifen und zu terrorisieren. Die 200 Mitglieder der erst in Aufbau befindlichen Odessa-Miliz konnten nach kurzen Auseinandersetzungen rasch zerstreut werden. Dann überfielen die Faschisten ein Protestcamp von 200 Leuten, die schließlich ins lokale Gewerkschaftshaus flüchteten. Das wiederum wurde von den Faschisten in Brand gesteckt. Dabei sind vermutlich zwischen 120 und 130 Aktivisten verbrannt oder erstickt oder wurden bei Fluchtversuchen von den Faschisten erstochen, erschossen — und Frauen teilweise zuvor noch vergewaltigt. Danach gab es systematische Vertuschungen und Verdrehungen. Die „Ermittlungen“ zu diesem Massaker wurden von den Freunden der Mörder geführt.

Die Regierungen der USA und der EU und die westlichen Medien, die sonst „Antifaschismus“ vor sich hertragen und für ihre Zwecke missbrauchen, deckten das rechte Regime: Von den Völkermordaussagen Timoschenkos über den SS-Aufmarsch der Regierungspartei Swoboda bis zum Massaker in Odessa wurde im Westen alles so gut wie möglich verschwiegen oder runtergespielt.

Anfang Mai 2014 haben die USA dem Jazenjuk-Regime eine Milliarde Dollar zur Finanzierung der Militäroperationen zur Verfügung gestellt. Dazu kam ein Hilfspaket an das rechtsextrem durchsetzte Marionettenregime von 17 Milliarden Dollar, finanziert von den Lohnabhängigen der EU und der USA. Was die EU- und USA-Kapitalisten dafür bekommen, ist die übliche „Reformpolitik“, die auf eine Kürzung von Sozialleistungen, Preiserhöhungen, Privatisierungen, Fabrikschließungen und einen generellen Ausverkauf an die westlichen Konzerne hinausläuft. Ein kleiner Vorgeschmack war bereits 2014 der Aufsichtsratsposten, den der ukrainisch-israelische Oligarch Kolomoisky in seinem Gaskonzern Burisma Hunter Biden, dem Sohn des damaligen US-Vizepräsidenten, zugeschanzt hat.

Darüber hinaus hat die NATO mit der Ukraine natürlich weitere Ziele. Dabei geht es um Aufrüstung, Expansion und die Einkreisung Russlands. Neben Geld und Ausrüstung, besonders aus den USA und Britannien, sind im Jahr 2014 gleich Hunderte „Militärberater“ und Geheimdienstler, vor allem aus den USA, im Land, um die Nationalgarde und auch die Armee gegen die Rebellen kampffähig zu machen. Dazu kamen im gleichen Jahr mindestens 400 Söldner der US-„Sicherheitsfirma“ Blackwater, die schon im Irak für diverse Verbrechen verantwortlich war und seit 2009 Academi heißt. Bezeichnend ist dabei auch, dass Academi offenbar inzwischen dem US-Gentechnik-Agrarkonzern Monsanto gehört oder zumindest enge Verflechtungen bestehen. Monsanto wiederum lag seit Jahren auf der Lauer um den Zugriff auf die fruchtbaren ukrainischen Böden. Janukowitsch war allerdings drauf und dran, entsprechende Verträge mit chinesischen Investoren abzuschließen. Das hat sich mit dem neuen Regime und der Präsenz der quasi firmeneigenen Söldnertruppe vor Ort für Monsanto zum Positiven gewendet.

Während ab 2014 vom Westen die ökonomische und militärische Unterstützung für das Regime in Kiew vorangetrieben wurde, war es in der Ost- und Südukraine immer mehr verhasst, besonders nach dem Massaker in Odessa. Aber auch die neu eingesetzten Gouverneure von Donezk und Dnipropetrowsk, die Oligarchen Sergej Taruta und Kolomoisky, stießen auf Ablehnung. Letzterer finanzierte aus seinem gigantischen Privatvermögen auch Teile der Regierungstruppen. Bei den Unabhängigkeitsreferenden in Donezk und Lugansk, die am 11. Mai 2014 stattfanden, gab es offenbar trotz der widrigen Bedingungen, wie militärische Angriffe der Armee und Übergriffe durch die Nationalgarde, eine Beteiligung von 78 Prozent und eine Zustimmung von 93 Prozent. Auch wenn bei diesen Abstimmungen nicht alles ideal gelaufen sein mag, so kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in diesen Gebieten nicht mehr unter der Herrschaft von Kiew leben will. Die Separatisten versuchten auch unmittelbar die Formierung eigener staatlicher Strukturen, was angesichts der Kämpfe allerdings anfänglich schwer war.

Gleichzeitig begann auch in diesen Regionen die Arbeiterklasse auf die politische Bühne zu steigen. Nach einer westlichen Umfrage waren in den acht südöstlichen Regionen 41 Prozent für die Enteignung von illegal erworbenem Vermögen von Oligarchen, zusätzliche 24 Prozent für die völlige Enteignung der Oligarchen; nur 4 Prozent wollten ihnen alles lassen. In Flugblättern der Separatisten in Slawjansk und Donezk tauchten auch soziale Forderungen auf, etwa nach Verstaatlichung und Volksmacht. In etlichen Städten gab es Angriffe auf das Eigentum der Oligarchen Taruta und Kolomoisky, etwa auf Kolomoiskys Bankenfilialen. In Enakievo wurde das Stahlwerk des ehemals prorussischen Oligarchen Achmetow besetzt. In Krasnodon gab es einen Streik gegen politisch motivierte Kündigungen und es wurden 20 Prozent Lohnerhöhung erzwungen. Eine der ostukrainischen Milizen besteht ausschließlich aus Kohlebergarbeitern.

Der Widerstand in der Ostukraine entwickelte eine Dynamik von Selbstorganisation und Kampf auch um soziale Fragen. Es besteht ein Hass auf das Regime in Kiew und die Oligarchen. Teilweise gab es Hoffnungen auf Russland, teilweise aber auch Wut über Putins Aufforderung zur Verschiebung des Referendums und die mangelnde russische Hilfe.

Tatsächlich ist dem Kreml eine unkontrollierte Bewegung der Arbeiterklasse in der Ost- und Südukraine wohl nicht geheuer. Ihm geht es nicht in erster Linie um die dortige Bevölkerung, sondern um Einfluss auf die Ukraine und einen entsprechenden Deal mit den westlichen Imperialisten. Und auch der ehemals prorussische Oligarch Achmetow ist angesichts sozialrevolutionärer Elemente im Widerstand der Ostukraine zum Kiewer Regime übergelaufen, hat sich gegen die Rebellen gestellt und die Beschäftigten in seinem Konzern entsprechend unter Druck gesetzt.

Stabilisierung des Putschregimes

Die zögerliche Haltung Russlands schuf erst die Grundlage für die Offensive des ukrainischen Regimes. Es bekam die Zeit geschenkt, sich zu stabilisieren, Truppenverbände zu ordnen und neu aufzustellen. Zu den US-Militärberatern und Academi-Söldnern, zu den westlichen Waffen und faschistischen Nationalgardisten kamen schon 2014 offenbar auch erhebliche Zahlen von polnischen Söldnern. Überhaupt dürften neben den US-Geheimdiensten vor allem polnische Stellen eine wesentliche Rolle bei der Koordinierung der ukrainischen Regierungstruppen spielen, namentlich Außenminister Radek Sikorski, der schon den NATO-Beitritt Polens verhandelt hatte, und Jerzy Dziewulski, „Sicherheitsberater“ des ehemaligen polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski, der in den USA, Israel, Frankreich und Deutschland als „Anti-Terror-Experte“ ausgebildet wurde und ein eigenes privates „Sicherheitsunternehmen“ betreibt und der mit Alexander Turtschinow in Slawjansk auftauchte.

Bei der Präsidentschaftswahl Ende Mai 2014 lag die Wahlbeteiligung bei 59,6 Prozent. In großen Teilen der Regionen Lugansk und Donezk fand die Wahl nicht statt, auch in anderen Teilen der Ost- und Südukraine war sie sehr niedrig und auch in Kiew lag sie bei lediglich bei 62,7 Prozent, was einen Boykott von erheblichen Teilen der Bevölkerung ausdrückte. Mit der Wahl des Oligarchen Petro Poroschenko zum Präsidenten der Ukraine konnte das neue Regime dennoch eine gewisse Legitimität erreichen. Poroschenkos erste Amtshandlung war, wie es sich für solche Leute gehört, ein Treffen mit dem US-Botschafter in Kiew, der ihn zu einer militärischen Offensive ermutigte und ihm versicherte, dass dabei bis zu 2.000 Tote drin seien und die USA und die westlichen Medien das in diesem Rahmen so gut wie möglich decken würden.

Erste Versuche eines militärischen Vormarsches sind dann erneut gescheitert, die Rebellen schossen wieder etliche Flugzeuge ab. Gleichzeitig stiegen aber die zivilen Opfer, die auch nach westlichen Angaben etwa drei Viertel der Kriegstoten ausmachen, durch Artilleriebeschuss stark an und dürften bereits an die Tausend reichen. Deutschland, das aufgrund ökonomischer Interessen eine weniger konfrontative Vorgangsweise gegenüber Russland will, versuchte erneut, Verhandlungen zwischen dem Kiewer Regime und den Rebellen in Gang zu bringen. Das wurde aber durch die scharfe Haltung der USA und Polens torpediert und Poroschenko, Awakow, Kolomoisky und Co wurden zu einer militärischen Lösung angestachelt.

Massiv aufgerüstet und professioneller organisiert, und angesichts ausbleibender ernsthafter russischer Unterstützung für die Rebellen, kamen Nationalgarde, Armee und Söldner dann Ende Juni 2014 doch noch in die Offensive. Der faschistische Kern der Nationalgarde wurde mit verarmten Kleinbürgern und lumpenproletarischen Elementen aus der Westukraine, die durch den monatlichen Sold von 1.700 Euro, das Zehnfache eines Arbeiterlohns, angelockt wurden, auf bis zu 50.000 Mann aufgestockt. Die Kiewer Angaben von Hunderten getöteten Separatisten um den Monatswechsel waren sicherlich Propaganda für das heimische und internationale Publikum; dabei handelte es sich um durch Artilleriebeschuss umgebrachte Zivilisten.

Anfang Juli gelang es dem Regime aber dann, mit überlegenen Militärtechnik und Mannstärke, die Rebellen aus den Städten Slawjansk und Kramatorsk zu vertreiben ... das waren nach der Übernahme von Charkow und Odessa durch rechtsextremen Terror die ersten Erfolge des Regimes im Bürgerkrieg. Poroschenko befahl dann den „totalen Angriff“ auf Donezk und Lugansk, was den immer massiveren Artilleriebeschuss vor Vororten bedeutete. Nach ersten Rückschlägen und dem neuerlichen Tod von Dutzenden Regierungssoldaten kündigte Poroschenko in NS-Diktion an, dass für jeden toten Regierungssoldaten „100 Separatisten“ getötet würden. Wie schon bei der Nazi-Kriegsführung bedeutete das auch im Falle des Kiewer Regimes eine immer brutalere Kriegsführung auf Kosten der Zivilbevölkerung, die dementsprechend in immer größerer Anzahl die Flucht ergreift.

Für Putin stellte die Situation ein Dilemma dar. Er hat sich in den zurückliegenden Jahren erfolgreich als starker Mann präsentiert, der mit der Kapitulation vor der NATO Schluss gemacht hat. In der Ukrainekrise hat er dieses Image mit der Intervention auf der Krim auch noch verfestigt und sich dann als Beschützer der russischen Bevölkerung inszeniert. Bezüglich der Restukraine wollte er einen Deal mit dem Westen, nämlich eine Art neutrale Rolle der Ukraine mit geteiltem Einfluss von Russland und der EU. Der deutsche Block war dazu wohl auch bereit, aber die Hardliner USA, Großbritannien und Polen sowie das rechtsextrem durchsetzte Regime in Kiew wollten keinen Kompromiss. So wurde nun das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet und die militärische Offensive vorangetrieben. „Keine Verhandlungen, sondern Vernichtung der Rebellen“, war die Devise aus Washington und Warschau.

Putin konnte die Russischsprachigen in der Ukraine nicht völlig hängen lassen, ohne letztlich mit einer schweren Niederlage aus der Ukrainekrise hervorgehen: Die Ukraine würde dem russischen Einfluss entzogen und trotz des Anschlusses der Krim wird die NATO formell oder informell noch weiter an Russland hergerückt und die militärische Einkreisung vorangetrieben sein.

Außenpolitisch wäre Russland in die Schranken gewiesen. Und innenpolitisch wäre Putins Image als starker Mann und Schutzherr der Russen nach einer De-facto-Kapitulation in der Ostukraine schwer angeschlagen. Dementsprechend musste Putin die Volksrepubliken so weit stützen, dass sie nicht zusammenbrechen.

Darüber, dass eine Niederlage der Rebellen für die Bevölkerung der Ostukraine eine Katastrophe bedeuten würde, kann kein Zweifel bestehen. Timoschenkos Völkermordfantasien sind bekannt und auch der US-Handlanger Jazenjuk hat die Separatisten wörtlich als „Untermenschen“ bezeichnet. Hunderttausende Menschen sind aus der Ostukraine bereits nach Russland geflohen und das Regime wird daran arbeiten, diesen Prozess fortzusetzen und so zumindest Teile der russischen Bevölkerung loszuwerden. Bei einer Besetzung der umkämpften Gebiete ist sicherlich mit Massakern durch rechtsextreme Banden und die Nationalgarde ebenso zu rechnen, wie mit systematischen Vertreibungen und ethnischen Säuberungen.

Bereits 2014 hat Verteidigungsminister Michail Koval offen über „Filtrationslager“ nachgedacht, durch die die Bevölkerung der Rebellengebiete geschleust werden soll, um tatsächlich und vermeintliche Separatisten ausfindig zu machen und Teile der Bevölkerung „umzusiedeln“. Außerdem sollen die an den Kämpfen gegen die Rebellen beteiligten Soldaten in der Ostukraine Land und Häuser bekommen — also eine systematische Ansiedlungspolitik der Rechtsextremisten, die dort ein Terrorregime errichten sollen. Ein Sieg des Kiewer Regimes würde in der Ostukraine eine weitgehende nationale und soziale Umkrempelung bedeuten und angesichts von Krieg, Vertreibung und IWF-Politik wohl auch eine Deindustrialisierung.

Angesichts des drohenden rechten Terrors wünschen sich viele Menschen in den Volksrepubliken eine russische Intervention. Und Ähnliches gilt sicherlich auch für Teile der Bevölkerung in anderen Regionen der Ost- und Südukraine, die diesen Terror bereits seit Jahren erleben. Er bedeutet seit Jahren die Unterdrückung der Arbeiterbewegung und eine aggressive Ukrainisierungspolitik, seit 2017 die weitgehende Einschränkung des Unterrichtsrechts in Russisch und anderen Minderheitensprachen sowie insgesamt einen massiven Druck auf Menschen, ihre russische Identität zu verleugnen. In der Folge wird die Zahl der Russen in der Ukraine vom Regime und seinen westlichen Handlangern immer mehr kleingerechnet.

Das Abkommen von Minsk, das die Ukraine Anfang 2015 mit Russland, Deutschland und Frankreich abschloss, sollte die Rebellengebiete in der Ukraine halten, ihnen aber Autonomie garantieren. Da das Regime in Kiew zu Letzterem nie bereit war, konnte sich eine solche Lösung nicht durchsetzen. In all den Jahren seitdem kam es immer wieder zu Kämpfen an der Frontlinie und in den Rebellengebieten kamen Tausende Zivilisten durch ukrainischen Artilleriebeschuss ums Leben. Dennoch verhinderte das Abkommen über Jahre eine komplette militärische Eskalation. Die Rebellen in den Volksrepubliken konnten ihre lokale Stellung behaupten, das Regime in Kiew im Rest des Landes seine Position stabilisieren.

Geopolitik und Positionierung.

Das Putschisten-Regime hat die vergangenen Jahre auch dazu genutzt, dass Land immer mehr aufzurüsten, zu militarisieren und der NATO dienstbar zu machen. Das konnten Russland und auch die russische Bevölkerung der Ukraine nur mit Sorge verfolgen. Die Angriffe auf die Volksrepubliken gingen auch stets weiter und wurden zuletzt provokativ verstärkt. Ob hinter dieser Eskalation im Sinne der NATO das gesamte Regime in Kiew stand oder nur besonders extremistische Teile, ist unklar.

Insgesamt müssen der Konflikt in der Ukraine und seine aktuelle Zuspitzung auch im Kontext von grundlegenden geopolitischen Konzepten gesehen werden. Sie können hier nur knapp angerissen werden:

Bereits 1904 theoretisierte der englische Geograf Halford Mackinder die britische Geopolitik mit seiner „Heartland-Theorie“. Er betonte dabei die Bedeutung von Geografie, Technik, Wirtschaft, Industrie sowie Rohstoff- und Bevölkerungsressourcen für eine vergleichende Bewertung von Landmacht und Seemacht. Sein Kerngedanke war: Wer die eurasische Landmasse beherrscht, beherrscht die Welt. Die „Seemächte“, also Großbritannien und die USA, müssen um jeden Preis ein Bündnis zwischen Deutschland und Russland verhindern. Nils Hoffmann bezeichnete 2012 in seinem einschlägigen Buch Mackinders Konzept als „die wohl bedeutsamste Idee in der Geschichte der Geopolitik“.

In der Zwischenkriegszeit waren die herrschenden Klassen der angelsächsischen Staaten vom Rapallo-Vertrag 1922 zwischen Deutschland und Russland ebenso alarmiert wie Hitler. Und Teilen von ihnen war es nicht unrecht, dass mit den Nazis der rabiat antirussische Teil der deutschen Rechten an die Macht kam. Der Zweite Weltkrieg erreichte dann auch in Osteuropa seine größte Brutalität. Und der spätere US-Präsident Harry Truman sagte 1941 ganz offen:

„Wenn wir sehen, dass Deutschland gewinnt, sollten wir Russland helfen, und wenn wir sehen, dass Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diesem Wege lassen wir sie so viele wie möglich töten.“

Auch nach 1945 agierten die führenden US-Strategen Zbigniew Brzeziński und Henry Kissinger ganz im Geiste Mackinders. Ersterer schrieb außerdem 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ zur Ukraine Folgendes:

„Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“

Und 2015 bilanzierte George Friedman, der Chef des CIA-nahen Informationsdienstes Stratfor: Das Ziel der US-Politik sei seit 100 Jahren Verhinderung eines Bündnisses zwischen Deutschland und Russland, zwischen deutscher Technologie und russischen Ressourcen, weil das einzige Gefahr für die US-Vorherrschaft darstelle.

In dieser Hinsicht ist die jetzige Eskalation in der Ukraine jetzt schon ein Erfolg für die US-Führung, denn die deutsche Regierung hat die Reihen mit Großbritannien und den USA dicht geschlossen und gehorsam Nord Stream 2 eingestellt. Gemeinsam decken sie das mit Nazis durchsetzte Regime im Kiew. Eine jämmerliche Figur wie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, die Kritiker der deutschen Coronapolitik schnell mal in die Nazi-Ecke stellt, macht den echten Nazis in der Ukraine die Mauer — und öffnet nebenbei die Tür für US-Fracking-Gas.

Und während sich ein Gerhard Schröder bei all seiner reaktionären Politik gegenüber der Arbeiterklasse oder Jugoslawien noch eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber den USA bewahrt hatte, etwa in der Irak-Politik oder gegenüber Russland, erweist sich SPD-Kanzler Olaf Scholz als ebensolche NATO-Marionette wie Baerbock.

Diesen Leuten seien die offenen Worte des ehemaligen SPD-Ministers Egon Bahr von 2013 gegenübergestellt:

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Wenn sämtliche Politiker des globalistischen Parteienkartells und ihre Mainstreammedien dermaßen gleichgeschaltet agieren und aufgeregt ihre Propaganda verbreiten, dann ist tiefste Skepsis angesagt! Erinnert sei an den Tonkin-Zwischenfall 1964, der den offenen Eintritt der USA in den Vietnamkrieg rechtfertigte, an die angeblich toten Brutkasten-Babys in Kuwait 1990, die für den Angriff der Irak benutzt wurden, an das sogenannte Massaker von Račak 1999, das die NATO-Aggression gegen Jugoslawien legitimierte, oder die vermeintlichen irakischen „Massenvernichtungswaffen“, mit denen der Einmarsch im Irak begründet wurden. All das war, wie sich später herausstellte, erstunken und erlogen. Den NATO-Politikern, ihren „Experten“ und Journalisten sollte man deshalb besonders in Kriegsfragen gar nichts glauben!

Die russische Führung hat sicherlich auch nicht nur humanistische, sondern auch geopolitische Ziele. Sie haben aber angesichts der NATO-Einkreisungspolitik mehr Legitimität als die NATO. Und eine multipolare Welt bedeutet auch mehr Spielräume, als wenn allein die USA/NATO und die mit ihnen verbundenen globalistischen Netzwerke des Großkapitals alles bestimmen. In diesem Sinne und auch hinsichtlich der Eindämmung von islamischen Extremisten waren auch die russischen Interventionen in Syrien und Libyen unterm Strich positiv. Für kritische Menschen sollte jedenfalls in der aktuellen Auseinandersetzung der Hauptfeind im NATO-Imperialismus gesehen werden. Sie sollten der herrschenden Propaganda und der antirussischen Hetze entgegentreten, über die Hintergründe und Interessen im Ukrainekonflikt aufklären und eine Anbindung der Ukraine an NATO und EU, beides reaktionäre Projekte des Großkapitals, ablehnen.

Bezüglich der Ukraine ist es gut, wenn das rechtsextrem durchsetzte proimperialistische Marionettenregime zum Verschwinden gebracht und wenn die Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung beendet wird. Letztlich gilt es für das Selbstbestimmungsrecht der russischen Bevölkerung in der Ost- und Südukraine einzutreten — bis hin zu Lostrennung, Eigenstaatlichkeit oder Anschluss an Russland.

Auch wenn Putin ein kluger und strategisch denkender Anführer sein mag, so sollte man ihm dennoch nicht unkritisch vertrauen, denn auch er stützt sich auf eine Zusammenarbeit mit Oligarchen und betreibt klassische Großmachtpolitik.

In eine positive Richtung kann es für die arbeitende Bevölkerung der Ukraine nach der Befreiung vom gegenwärtigen Regime gehen, wenn sie sich selbst organisiert, die Oligarchen enteignet, die faschistoide Nationalgarde durch demokratische Arbeitermilizen ersetzt und über nationale Grenzen hinweg den Zugriff von IWF, EU und NATO auf das Land abwehrt.

Eric Angerer, Jahrgang 1974, ist studierter Historiker und war als Nachrichtenjournalist tätig. Die letzten Jahre arbeitete der begeisterte Alpinist im Bildungsbereich, unter anderem als Sportlehrer. Er verfasste und redigierte zahlreiche historische Texte und solche der marxistischen Theorie. Sein politisches Engagement bezog sich lange Zeit vor allem auf die Unterstützung betrieblicher Selbstorganisation von Beschäftigten in Industrie und Gesundheitswesen. Aktuell beteiligt er sich an der Initiative „Analyse Widerstand Freiheit“ (AWF) in Österreich.

(Dieses Werk erschien zuerst am Samstag, 26. Februar 2022 auf der Plattform RUBIKON. Es ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen darf es verbreitet und vervielfältigt werden.)

Thematische Ergänzug: Eine sachliche Analyse mit bedrückenden Aussichten findest sich auf der Plattform https://multipolar-magazin.de/artikel/schwarze-tage-europas    Krieg in der Ukraine – Schwarze Tage Europas. Russland hat am 24. Februar die Ukraine angegriffen. Es ist der Versuch Wladimir Putins, die russischen Sicherheitsinteressen mit militärischer Gewalt und unter Bruch des Völkerrechts durchzusetzen. Der Westen trägt durch jahrzehntelange Expansionspolitik und Arroganz eine Mitverantwortung für die jetzige Eskalation. Gewinner sind nun die Scharfmacher auf allen Seiten. Der Krieg wird nicht nur zum Tod vieler Zivilisten, sondern auch in eine neue Rüstungsspirale führen. Ein Kommentar der Multipolar-Herausgeber