Leserbrief an die taz zur Berichterstattung über die Corona – Kundgebungen am 29.08.2020

Sehr geehrte Damen und Herren!

Walter mit Volksvertreter 2020Am Rande der großen Corona - Demo am 29.08.2020 in Berlin hat die Polizei einige Dutzend Protestler zum Reichstag durchgelassen, die auf den Stufen des Gebäudes bunte Fahnen wehen ließen und großen Spaß dabei hatten. Nichts ging kaputt und gegen die drei Polizisten vor der Tür wurde keinerlei Gewalt angewendet. Dennoch sind Politiker aller Parteien hochgradig empört und Bundespräsident Steinmeier meint, das sei ein „unerträglicher Angriff auf das Herz der Demokratie“ gewesen. Dieses im Stil der Neorenaissance erbaute „Herz“ wurde 1894 durch Kaiser Wilhelm II eingeweiht, der das Gebäude intern als „Gipfel der Geschmacklosigkeit“, als „völlig verunglückte Schöpfung“ und als „Reichsaffenhaus“ schmähte. Das „Herz der Demokratie“ hat eine Menge schlimmer Dinge erlebt: Im August 1914 die Zustimmung der Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten, ohne die der Kaiser seinen 1. Weltkrieg nicht hätte führen können, 1932 das Anwachsen von Hitlers NSDAP zur stärksten Fraktion, den Beschluss von Gerhard Schröders Agenda 2010 inklusive Hartz IV, die Zustimmung der Grünen zum Einsatz der Bundeswehr im Nato-Krieg gegen Serbien 1999 und den Krieg gegen Afghanistan 2001, die Steigerung der Rüstungsausgaben und die Sanktionen gegen Russland. Offenbar haben auch einige „Reichsbürger“ ihre „Reichsflaggen“ vor dem „Reichstag“ geschwenkt und sind damit wiederholt im Fernsehen gekommen. Vielleicht hat sich der Reichstag an alte Zeiten erinnert, als die Hohenzollern noch das Sagen hatten im Deutschen Reich, deren Stadtschloss in Berlin gerade wieder aufgebaut wurde. Und vielleicht hat der „Reichstag“ diesen „Bürgern“ heimlich zugezwinkert, ohne dass Steinmeier dies je bemerkt hätte.

Über eine Veröffentlichung würde ich mich freuen.

Mit freundlichem Gruß
Walter Ruffler (31.08.2020) 

Anmerkung: Bisher von der taz nicht veröffentlicht.