Nazis bei der Polizei

holocaust 435533 1920aGedanken zur Kontinuität rechten Gedankenguts in Deutschland. Im Dezember 2019 gingen Meldungen durch die Presse, die auf aktuellen Forschungsergebnissen mehrerer Historiker beruhten. Spiegel online titelte: „Diese NS-Verbrecher leiteten das LKA“. (Foto: pixabay)

Worum geht es ?

Nach jüngsten Forschungsergebnissen waren die ersten vier Chefs des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen während der NS-Zeit an Gräueltaten beteiligt. Der erste LKA-Chef, Friedrich Karst, in dieser Position von 1946 bis 1948, war noch wenige Tage vor Kriegsende an einer Massenerschießung beteiligt. Sein Nachfolger von 1948 bis 1958, Friederich D‘Heil, zeichnete eine Sonderanweisung ab, Juden, die aus einem Ghetto fliehen wollten, zu erschießen.

Auch war er an der Ermordung des dänischen Pastors Kai Munk beteiligt. Oskar Wensky, der das LKA Nordrhein-Westfalen von 1959 bis 1964 leitete, wurde in internationalen Fahndungslisten als Kriegsverbrecher gesucht. Er hatte u.a. die Verlegung von Sinti und Roma an Sammelplätzen angeordnet, von wo aus sie später nach Auschwitz deportiert wurden. Er war auch für Razzien gegen Homosexuelle in den Niederlanden verantwortlich. Da war er natürlich prädestiniert dafür, später in der Bundesrepublik als „Sachverständiger“ gegen die Abschaffung des Paragraphen 175 aufzutreten. Günter Grasner, der das LKA von 1964 bis 1969 leitete, Mitglied der Geheimen Feldpolizei, die an der Erschießung von Zehntausenden beteiligt war, wurde vom belgischen Staat zeitweise wegen Mordes als Kriegsverbrecher gesucht. 

Und die Moral von der Geschichte? Innenminister Herbert Reul (CDU) ließ verlauten: „Aus heutiger Sicht hätten sie niemals mehr als Polizisten arbeiten dürfen“. 

Ist das wirklich alles, oder ist die Dimension, die hinter dieser Aufdeckung sichtbar wird, nicht weitaus tiefgreifender und bedrohlicher ?

Einige Gedanken dazu. 

Es wäre doch sehr merkwürdig, wenn die Zustände beim LKA Nordrhein-Westfalen in den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg singulär gewesen wären. Es ist eher davon auszugehen, dass auch in anderen Bundesländern ähnliche Personalentscheidungen getroffen worden sind. Es sollten also von der Bundesregierung und den Ländern Mittel und Forschungsmöglichkeiten für unabhängige Historiker geschaffen werden, die Zustände auch in anderen Bundesländern unter die Lupe zu nehmen.  Auch Bremen ist aufgerufen, Klarheit in die personelle Entwicklung des Landeskriminalamtes zu bringen, auch wenn bereits vor mehreren Jahren eine Ausstellung über Bremens Polizei von 1945 bis heute ausgerichtet worden ist und ein entsprechender Begleitband erschien. 

Was bedeutet es eigentlich, wenn Nazis in den ersten 25 Jahren der Bundesrepublik an der Spitze des LKAs standen? Diese Männer werden sicherlich ihr Gedankengut, ihre Vorstellungen und ihr Wertesystem aufgrund ihrer leitenden Position mit weit reichenden Folgen eingebracht haben. Sie werden mitbestimmt haben, welche Personen mit welcher Anschauung im Apparat des LKA gefördert wurden, welche Personen eher daran gehindert wurden, in dieser Behörde aufzusteigen. So ist z.B. bekannt, dass Friederich D‘Heil es als LKA-Chef geschafft hatte, mindestens drei NS-Täter zurück in den Polizeidienst zu holen. Auch wenn das Ausmaß schwer zu quantifizieren ist, so kann sich jeder leicht ausmalen, was es bedeutete, in einer Behörde zur arbeiten und zu versuchen, demokratisches Gedankengut auch hier zu verwirklichen, an deren Spitze NS-Verbrecher standen. Und wie steht es mit den Menschen, die mit mehr oder eben auch weniger Elan ins Visier dieser Behörde gerieten? Kann man von demokratischem Gedankengut getragenen Untersuchungen ausgehen ? Wäre es jetzt nicht sinnvoll, den Opfern dieses Personenkreises nachzuspüren und ihnen möglicherweise Entschädigung zukommen zu lassen ? 

Doch der Einfluss dieser Personen endete ja nicht innerhalb des Polizeiapparates. Auf das Wirken von Oskar Wensky, der später als „Sachverständiger“ auftrat, als es darum ging, Homosexualität nicht mehr unter Strafe zu stellen, wurde oben bereits hingewiesen. Er war Anfang der 70er auch noch als Honorarprofessor an der Uni Köln tätig. 

Nazis im Justizapparat

Dass das LKA bei weitem nicht die einzige Institution war, in der Nazis Jahrzehnte nach Kriegsende immer noch wirken konnten, ist hinlänglich bekannt. Sehen wir uns dazu beispielhaft den Bereich der Justiz an. Eine Reihe von Büchern, wie das Standardwerk „Furchtbare Juristen“ von Ingo Müller aus dem Jahr 1987, hat in den letzten Jahrzehnten beleuchtet, wie sehr belastete Nazis die Rechtsprechung und das Justizwesen Deutschlands beeinflussen konnten. Ein weiteres Beispiel ist das Buch „Die Akte Rosenburg: Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“. Auch hier kamen Historiker zum Ergebnis, dass die Rechtspraxis der Bundesrepublik deutlich von NS-Tätern beeinflusst war. Mitglieder von Sondergerichten und Wehrrichter konnten im Justizapparat der Bundesrepublik, dem Bundesministerium der Justiz (BMJ), den Inhalt der Politik mitbestimmen. Nicht zuletzt als es darum ging, 1968 Zehntausende von Strafverfahren gegen NS-Täter einzustellen. Einige namentliche Beispiele: „Unter ihnen waren einige spektakuläre Fälle, wie etwa Franz Massfeller, vor 1945 im Reichsjustizministerium für Familien- und Rasserecht zuständig, Teilnehmer an den Folgebesprechungen zur Wannsee-Konferenz und Kommentator des Blutschutzgesetzes und nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1960 Ministerialrat im BMJ und Referatsleiter Familienrecht; oder Eduard Dreher, vor 1945 Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck, Mitwirkender an zahlreichen Todesurteilen wegen Nichtigkeiten und dann von 1951 bis 1969 im BMJ, zuletzt als Ministerialdirigent“ (S. 22) . 

Dass nationalsozialistisches Gedankengut nach 1945 nicht einfach verschwunden war, sondern weiterhin die Wertorientierung und das Handeln vieler ehemaliger NS-Schergen und auch großer Teile der einfachen Bevölkerung dominierte, ist nun wirklich nicht verwunderlich. Tief verwurzelte Strukturen einer Persönlichkeit lassen sich nicht einfach mit einem Schalter ausknipsen, sie sind – wenn überhaupt – nur in einem sehr sehr langen Prozess veränderbar. 

Doch es geht nicht nur um Alt-Nazis, deren inhaltliches Wirken und deren verheerender Einfluss auf die Personalentwicklung zentraler Behörden über viele Jahrzehnte hinweg, möglicherweise sogar bis heute. 

Das über 10 Jahre angelegte Forschungsprojekt unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ dessen 10 Bände zwischen 2002 und 2011 erschienen, macht in beunruhigender Weise deutlich, wie weit verbreitet auch damals Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Verachtung von Minderheiten in der Gesamtbevölkerung waren und dass dieses Gedankengut schrittweise Einzug in die Mitte der Gesellschaft genommen hatte. Also auch schon damals, Anfang der 2000er Jahre, rechtes Gedankengut bei einem nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft. 

Und heute?

Rechtes Gedankengut ist hoffähig geworden. Vom SPD-Mitglied Sarrazin bis zur AFD, von Skandalen mit rechten Kameradschaften in Bundeswehr und Polizei, bis hin zur zunehmenden Rechtsentwicklung in der Medienwelt, der Zustand unserer Gesellschaft wird wieder deutlich von Einstellungen und Werthaltungen geprägt, von denen man gehofft hatte, sie seien mit der Niederlage der Nationalsozialisten und der Demokratisierung unseres Landes im Verschwinden begriffen. Davon kann keine Rede sein. 

holocaust 435533 1920aWas bleibt ist die Schlussfolgerung, dass faschistisches, rassistisches und menschenfeindliches Gedankengut in unserer Demokratie nicht nur über Jahrzehnte hinweg konserviert wurde, sondern dass es genuiner Bestandteil unserer Gesellschaft selbst ist, aus ihr heraus, als Ergebnis ihrer inneren Struktur, immer von neuem hervorgebracht wird. Über diesen Zusammenhang und die politischen Schlussfolgerungen daraus werden wir intensiv nachdenken müssen.  
Helmuth Weiss