Die Auswirkungen dieser "Pandemie" weisen auf zwei systemische Krisen hin

Was wir gerade erleben ist keine "Corona-Krise". Wir haben es vielmehr mit schon länger andauernden systemischen Krisen zu tun (von Rodolfo Bohnenberger)

krankenhaus privatisierung1. Eine Krise in der Daseinsvorsorge, im gesamten Sorge- und Carebereich (Wohnen, Kinder, Pflege, Haushalt, Essen, Lebensmittelhandel usw.), jetzt besonders dringlich spürbar im Gesundheitswesen. Neoliberale Politik hat das Gesundheitswesen "auf Kante genäht". Unter SPD/Grün wurde Anfang der 2000er Jahre das  Fallpauschalensystem in Krankenhäusern eingeführt. Ein steuerlich strangulierter Staat baute öffentliche Finanzierung als Folge von "Schuldenbremse" und "Schwarzer Null" ab. Kampagnen von Think Tanks wie der Bertelsmann Stiftung halfen die Renditeorientierung und Privatisierung der Krankenhäuser und des (Alten)Pflegesystems ideologisch zu rechtfertigen. Das Personal war nicht mehr "systemrelevant", wie es jetzt vorübergehend "beklatscht" wird, sonden nur noch Kostenfaktor und wurde miserabel bezahlt; meist waren und sind es Frauen.

2. Eine Krise im Finanzsystem und einem nur auf Shareholder-Value (Anteilseigner-Wert) getrimmten Wirtschaftssystem. Während der letzten Bankenkrise 2008/9 wurden zuerst die privaten Bankbesitzerschulden in öffentliche Staatschulden "verwandelt", und danach als "Lösung"  billiges Geld "gedruckt" ("quantitative easing") und damit eine gigantische Finanzblase in den Händen von wenigen Milliardären aufgebläht, inzwischen mindestens vier Mal so groß wie die Realwirtschaft der Welt. Damit haben Konzerne in Billionenhöhe eigene Aktienrückkäufe zur Aufbesserung der Dividenenausschüttungen der Großinvestoren und Hedge Fonds getätigt. Sinnvolle innovative, ökologische Investitionen erfolgten nicht. Diese rein spekulative Blase platzt gerade und in Billionenhöhe wird frisch "gedrucktes" Zentralbankgeld nachgepumpt. Überbewertungen kollabierten im März an den Börsen zwischen 25-30 Prozent. Die gesamte Wirtschaft, und nicht nur der Finanzsektor wie 2008, rutscht in eine massive Rezession, und das in einem von grenzenlosem Wachstumszwang und Respektlosigkeit gegenüber unseren natürlichen Lebensressourcen dominierten System. Diese Krise war nur ein Frage der Zeit und brauchte nur einen Anlass, den "Corona" lieferte.

Der Absatz von umweltbelastenden und ressourcenverschwenderischen Waren ist schon länger ins Trudeln geraten. Seit 1991 nahm die Autoindustrie 152.000 Tote und 9 Millionen Verletzte auf den deutschen Straßen in Kauf. Trotzdem wird auch die einfachste Maßnahme, ein Tempolimit auf den Autobahnen, nicht eingeführt. Renditegünstigere Produktionsstandorte führten zum Abwandern lebenswichtiger Pharmaproduzenten nach China und Indien. Renditegünstigere "Just-in-Time" Lieferketten verlagerten die betriebseigene Vorratshaltung auf Millionen Lastwagen auf Autobahnen und auf globale/grenzüberschreitende Logistik; diese gerät nun ins Stottern. Innovative, kleine und mittlere Betriebe sind oftmals unterlegen, wenn zockende Großinvestoren zugreifen. Weitere Kapitalkonzentration und Monopolisierung werden folgen.

Das sind nur einige Hinweise auf die Absurditäten eines nur auf den kurzfristigen Profit ausgerichteten Wirtschaftens, das unser Leben leider dominiert.

Die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland ist in den letzten 30 Jahren von 2411 auf 1942 gesunken. ‪168.383‬ Betten wurden abgebaut. Kliniken - elementare Gesundheitsversorgung - müssen Gewinne erzielen? Wer hat sich das denn ausgedacht, dass Profite wichtiger sind als Menschen? Immer größere Krankenhauskonzerne wie Asklepios, Ameos, Rhön-Kliniken, Fresenius mit FMC und Helios sind entstanden. Das Pflegepersonal wird miserabel bezahlt und reicht vorne und hinten nicht. 2018 mussten mehr als 17.000 Pflegerinnen und Pfleger aufstockende Transferleistungen in Anspruch nehmen. Bei den Verkäuferinnen und Verkäufern waren es rund 50.000.

Die jetzigen Einschränkungen, die uns im Zuge der ausgerufenen "Pandemie" abverlangt werden, sollen, wie behauptet, einzig dazu dienen, die Ausbreitung hinauszuzögern und die Behandlungskapazitäten in den Krankenhäusern zu sichern.  Die Folgen sind aber ein Runterfahren der normalen Behandlungskapzitäten für andere, auch lebensbedrohende Krankheiten und Operationen. Es gibt zu wenig Pflegepersonal, zu wenige Krankenhäuser und zu wenig dazugehörige Infrastruktur und Logistik. Alle aktuellen Staats-Notmaßnahmen verfolgen das Hauptziel: "flatten the curve" (die Kurve abflachen). Die Evidenz ist allerdings dürftig. Zu keinem Zeitpunkt war unser Gesundhietssystem überlastet. Drastische Eingriffe in unser Wirtschaftsleben und in unsere Bürgerrechte werden dafür vorgenommen, die wiederum den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die ohnehin schon reduzierten demokratischen Einflussmöglichkeiten weiter gefährden. Was wir brauchen, ist eine deutliche Verbesserung der Fähigkeit unseres Gesundheitswesens, aber auch unseres Wohnungswesens, unseres Bildungs- und Sozialwesens für die Menschen bezahlbar und in guter Qualtität bereit zu stehen.

Das Pflegepersonal muss deutlich höher vergütet werden. Die Fallpauschalen-Finanzierung muss abgeschafft werden. Privatisierte Krankenhäuser müssen zurück in öffentliche Hand. Schluss mit der Renditeorientierung in der Daseinsvorsorge, Menschen vor Profite! 

In der EU wurden gerade die absurden Maastricht Stabilitätskriterien obsolet, was gut ist. Wir sollten radikale Wirtschafts- und Gesellschaftsveränderung einfordern. Die ganz Großen und Reichen und deren angeeignetes Vermögen müssen kräftig besteuert werden, und in systemrelevanten Bereichen vergemeinschaftet werden.