Friedenssonntag in der Ev. Andreasgemeinde in Bremen

Friedenssonntag 6.11.2022 Ev. Andreasgemeinde Bremen„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Die Bremer Evangelische Kirchengemeinde Andreas im Stadtteil Horn-Lehe veranstaltete zu Beginn der diesjährigen Friedensdekade am 6. November einen Friedenssonntag. Morgens begann es mit einem Gottesdienst, den Pastorin Saskia Schultheis hielt und mit einer Forumsveranstaltung endete. Auch für Kinder war gesorgt, die sich eine Aufführung des Figurentheaters „fundevogel“ ansahen.

Bei der abschließenden Forumsveranstaltung stellten drei Referenten aus verschiedenen Perspektiven die gegenwärtige Situation dar und beschrieben Möglichkeiten des Einsatzes für den Frieden. Unter der Moderation des Theologen Wilfried Preuß-Hardow sprachen und diskutierten Barbara Heller, Sprecherin des Bremer Friedensforum (Rede unten dokumentiert), Marion Küpker, Friedensreferentin des Internationalen Versöhnungsbundes, und der Mediziner Dr. Lars Pohlmeier von der Ärztevereinigung für den Frieden IPPNW. Ein Duo (Querflöte und kleine Orgel) umrahmte die Forumsveranstaltung mit Musik von Gabriel Fauré.

Der Friedenssonntag war gut besucht und machte u.a. deutlich, dass sich innerhalb der Kirchen wieder Friedensaktivitäten entwickeln. Sie entsprechen damit ihrer christlichen Botschaft, die der Ökumenische Rat der Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg einmal mit den Worten zusammengefasst hat: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“

Text und Fotos: Hartmut Drewes und Ekkehard Lentz

Rede von Barbara Heller, Sprecherin des Bremer Friedensforum:

Barbara HellerSehr geehrte Zuhörende, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
vielen Dank an die Andreas-Gemeinde für die Organisation des heutigen Tages. Vielen Dank dafür, dass ich eingeladen wurde, hier zu sprechen.

Ich bin seit vielen Jahren in der Friedensbewegung aktiv. Aber in der aktuellen Situation fiel es mir schwer, zu entscheiden, worauf ich den Schwerpunkt in meinem Beitrag legen sollte.
Ich werde mich hauptsächlich auf den deutschen Umgang mit dem Ukraine Krieg beziehen.

Da wir hier vorne zu dritt die Möglichkeit haben zu sprechen und da es im Anschluss eine Diskussion mit dem Publikum geben wird, hoffe ich sehr, dass wir gemeinsam klüger werden.

Wir leben in einem Land mit enormer sozialer Ungleichheit. Begonnen hat diese Entwicklung vor zwei Jahrzehnten mit Hartz IV und dem größten Niedriglohnsektor in Europa, der Öffnung von Gemeingut und sozialer Sicherung für die Finanzmärkte und der Anpassung der Steuergesetze an die Interessen der ganz Großen. Heute beschleunigen exorbitant steigende Rüstungsausgaben, Inflation und teure Energie den Prozess der Verarmung größerer Teile der Bevölkerung.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband legt in seinem aktuellen Armutsbericht (Zahlen von 2021) dar, dass jeder 6. Mensch in Deutschland arm ist. Jedes 5. Kind ist arm. Die Altersarmut v.a. bei Frauen nimmt dramatisch zu. Auch in Bremen. Das alles geschah vor dem Einmarsch der Russischen Armee in die Ukraine.
Allerdings nutzen Politik und Medien den Krieg für ihre Agenda. Wir sollen glauben, dass die Russen schuld sind an Sozialabbau, Niedergang der Industrie und Verarmung. Wir sollen Sparmaßnahmen und Aufrüstung akzeptieren.
Gerade hat Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede zur „Lage der Nation“ „härtere und raue Jahre“ angekündigt. Er forderte: „Alles stärken, was uns verbindet“. Was uns verbindet? Steinmeier spricht von „uns“ und von „wir“. „Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung“, „Wir brauchen die Kraft zur Selbstbeschränkung“. Aber mal ehrlich, wer sind denn wir? Sind wir die Vielen in der deutschen Bevölkerung, die jetzt schon nicht mehr wissen, womit sie am Monatsende ihr Essen bezahlen sollen, die die Heizkosten für ihre Wohnung nicht mehr aufbringen können?
Oder meint Steinmeier mit „uns“ Shell, Exxon Mobil und Total Energies, deren Gewinne seit 2021 zum Teil um 200 % gestiegen sind? Meint er die Käufer der Luxuskarossen wie Porsche, die Aktionäre der Banken wie der Deutschen Bank oder der Rüstungskonzerne wie Rheinmetall, die allesamt ihre Gewinne verdoppelt, verdreifacht und teils verzehnfacht haben?

Ist es angesichts der großen Spaltung zwischen arm und reich redlich zu appellieren: Dass wir Kraft zur Selbstbeschränkung brauchen? Oder ist diese Sprache Teil des Kriegs um die Köpfe?

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine war das gängige Narrativ aus Politik und Medien (von Scholz jetzt in China wiederholt), dieses sei der erste Krieg in Europa seit 1945, bei dem gewaltsam Grenzen neu gezogen wurden. Eine Lüge, die vergessen machen soll, dass Nato-Staaten, mit dabei die BRD, 1999 den Staat Jugoslawien militärisch zerstört und gewaltsam neue Grenzen gezogen hatten.
Auch die Aussage, dass der Krieg in der Ukraine am 24.2.22 begann, entspricht nicht der Wahrheit. Seit 2014 führte die ukrainische Regierung Krieg gegen die Bevölkerung im Donbass. Laut UNO starben in diesem Krieg vor dem 24.2.2022 14.000 Menschen.

Die Wahrheit stirbt auch, wenn Tatsachen verschwiegen werden.

„Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands“ ist zu einem stehenden Ausdruck geworden, tagtäglich von Politik und Medien wiederholt. Aber die völkerrechtswidrigen Kriege der USA und vieler Nato-Staaten werden mit keinem Wort mehr erwähnt, als hätte es sie nie gegeben und als gäbe es nicht auch heute, parallel zum Krieg in der Ukraine, völkerrechtswidrige Kriege, an denen deutsche und andere Nato-Truppen beteiligt sind.
Laut offiziellen Daten des „Congressional Research Service“ (CRS – vergleichbar mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages), haben die Vereinigten Staaten allein in den Jahren zwischen 1991 und 2022 mindestens 251 militärische Interventionen durchgeführt. Das entspricht durchschnittlich acht Militärinterventionen pro Jahr. Bei den Zahlen sind CIA-Operationen und Putschversuche nicht erfasst.
Die Kriege der USA rechtfertigen nicht den Krieg Russlands in der Ukraine. Wer nur die eine Seite für monströse Verbrechen anklagt, aber die Millionen Opfer der Kriege in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien, im Jemen verschweigt, ist der ehrlich, ist der glaubwürdig?

Wir vom Bremer Friedensforum gehen nicht erst seit dem Krieg Russlands in der Ukraine auf die Straße. Wir fordern: Alle Kriege beenden!

Wir lehnen die Doppelmoral ab. Steinmeier fordert einen vollständigen Bruch mit Russland, das „Panzer in das Gebiet eines benachbarten Staates rollen lässt“, aber er schweigt zur Politik des Bündnispartners Türkei, der mit Panzern aus deutscher Produktion das Nachbarland Syrien angegriffen hat und bis heute Teile besetzt hat. Politik und Medien werden nicht müde zu behaupten, dass wir den Krieg billigen würden, wenn wir weiter Energie von Russland beziehen würden. Bedeutet der Bezug von saudischem Gas und Öl, dass wir den Krieg billigen, den Saudi-Arabien gegen den Jemen führt? Die Situation im Jemen ist laut UNO die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart. Aber ist vom Jemen auch nur annähernd soviel zu hören und zu lesen wie von der Ukraine?

Liebe Friedensfreunde und Friedensfreundinnen, es ist ziemlich schwierig geworden, sich in dem Wust von Propaganda, medialer Beeinflussung und Halbwahrheiten ein eigenes Bild zu machen. Die Feindbildproduktion läuft auf Hochtouren. Mit immer neuen Begriffen werden wir zugeschüttet. Jetzt heißt es „Demokratien gegen autokratische Regime“. Da reibt man sich erstaunt die Augen. Der türkische Ministerpräsident, der saudische Prinz und der Herrscher von Katar, Bolsonaro in Brasilien (zum Glück gerade abgewählt), Trump in den USA, Meloni in Italien, allesamt lupenreine Demokraten?

Wie schwer es die Wahrheit im Krieg hat, erleben wir auch am Fall Assange. Der Journalist Julian Assange hat Informationen über US-Kriegsverbrechen öffentlich gemacht. Dafür wird er seit mehr als 10 Jahren verfolgt. Zur Zeit wird er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London gefangen gehalten. Sollte er in die USA, wie von dort verlangt, ausgeliefert werden, droht ihm Gefängnis bis zum Lebensende. Bis zu 175 Jahre soll er absitzen. Grotesk! Wofür? Weil er die Wahrheit ans Licht brachte?

Es gibt in der Friedensbewegung Diskussionen darüber, ob man das Wort „Zeitenwende“, mit dem Bundeskanzler Scholz sein Aufrüstungsprogramm überschrieb, auch für unsere Forderungen benutzen soll, kann, darf. Im Oktober beteiligte sich das Bremer Friedensforum an einer Demo in Hamburg, die forderte: 100 Milliarden für eine demokratische, zivile, soziale und ökologische Zeitenwende.

Ich bin dafür, dass wir das Wort Zeitenwende in unserem Sinne verwenden. Was Scholz darunter versteht ist nichts Neues, es ist eine Fortschreibung und Beschleunigung der schon vorher geplanten Aufrüstung. Das 100 Milliarden-Programm lag schon in den Schubladen vor dem Ukraine-Krieg. Die Aufrüstung auf 2% des BIP war lange vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine von den Nato-Staaten beschlossen worden. Deutschland wird demnächst etwa genau so viel für Rüstung ausgeben wie Russland, 60-70 Milliarden Dollar im Jahr. 2021 gaben die USA 811 Milliarden Dollar für Militär aus, die Nato 1175 Milliarden Dollar, das ist fast das 19fache der russischen Ausgaben. Wie viel mal mehr soll es denn sein, damit „wir“ siegesgewiss sein können? 50 mal soviel? Das ist ein Irrweg! Niemals vorher haben die Staaten der Welt mehr Geld für Krieg und Rüstung ausgegeben als heute. Ist die Welt dadurch sicherer geworden? Mit Recht fürchten die Menschen weltweit heute mehr denn je den Weltkrieg.

Welche Rolle spielt Deutschland in diesem Aufrüstungswahn? Wenn die deutschen Pläne umgesetzt werden, wird die BRD der Staat mit den drittgrößten Militärausgaben weltweit sein. Wozu? Hat Deutschland nicht genug Krieg und Zerstörung in die Welt gesetzt? Hat dieses Land nichts aus der Geschichte gelernt? Kann Deutschland nur Krieg? Warum kann Deutschland nicht endlich „Verantwortung“ übernehmen im Sinne von Frieden und Abrüstung?

Aber wer ist eigentlich Deutschland? Die Bevölkerung ist längst nicht so kriegerisch gestimmt wie Politik und Medien.

„Deutsche lehnen militärische Führungsrolle in Europa ab“, lautet das Ergebnis einer Umfrage der Körber-Stiftung vom Oktober 2022. Weiter heißt es dazu: „Bundesbürger wünschen sich internationale Zurückhaltung. Eine Mehrheit der Bundesbürger:innen (52 Prozent) wünscht sich weiterhin mehr internationale Zurückhaltung von Deutschland. 41 Prozent der Befragten befürworten hingegen ein stärkeres Engagement Deutschlands – dieses Engagement sollte jedoch bevorzugt diplomatisch (65 Prozent) statt militärisch (14 Prozent) oder finanziell (13 Prozent) sein. Damit hat sich die Einstellung der Deutschen im Vergleich zum Vorjahr (2021: 50 Prozent für Zurückhaltung) kaum verändert – ungeachtet des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. 68 Prozent der Bevölkerung lehnen eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa ab.“
Auch immer mehr deutsche Unternehmer warnen angesichts der ökonomischen Folgen vor weiterer Eskalation und stellen die Sanktionspolitik mehr und mehr in Frage. Inzwischen gibt es viele Einzelstimmen von Politikern, Künstlerinnen, Philosophinnen, Schriftstellern, von religiösen Würdenträgern, von besonnenen Menschen aus allen Teilen der Erde, v.a. aus dem globalen Süden, die Verhandlungen mit dem Ziel eines Waffenstillstandes verlangen.

Immer mehr Menschen fordern Vernunft statt Emotionen. Immer mehr Menschen fragen danach, wie die Geschichte denn enden soll? Vernunft setzt voraus, die Folgen des eigenen Handelns vom Ende her zu denken. Das scheint in der deutschen Politik noch nicht angekommen zu sein. Was wir brauchen, ist eine wirkliche Zeitenwende, die eine radikal andere Richtung einschlägt, die Schluss macht mit Rüstung, Krieg, Konkurrenz, Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt.
Jeder vielleicht sogar militärisch gewonnene Krieg ist eine Niederlage für die Zukunft der Menschheit.

Das meine ich auf verschiedenen Ebenen: Ich denke an die Opfer, die Zerstörungen und die katastrophalen ökologischen Folgen von Kriegen. Aber ich meine damit auch, dass Kriege verhindern, dass sich die Menschheit um die zum Überleben notwendigen Aufgaben kümmert. Der aktuelle Bericht des Club of Rome spricht von „einem planetaren Notstand“. Eine Zukunft habe der Planet nur, wenn es eine „Erde für Alle“ gibt. Das Überleben der Menschheit hängt von Zusammenarbeit und Solidarität ab. Krieg und Militarismus sind das Gegenteil davon, sie feiern den Heldentod und verachten das Leben. Krieg verhindert die notwendige Kooperation. Ohne Kooperation der Staaten der Welt wird der Planet nicht zu retten sein.

(Beitrag von Barbara Heller auf dem Friedenssonntag in der Evangelischen Andreas-Gemeinde in Bremen am 6.11.2022)