Adieu, LINKE - Persönliche Erklärung von unserem Mitstreiter Manfred Steglich zu seinem Austritt aus der Partei

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Weggefährten,

Manfred Steglichich möchte Sie und euch auf diesem Weg darüber informieren, dass ich am 31. Dezember 2023 nach achtzehnjähriger Mitgliedschaft aus der Partei DIE LINKE ausgetreten bin. Als Mitbegründer der WASG und der Partei DIE LINKE ist mir dieser letzte Schritt sehr schwergefallen. Am Ende war er unausweichlich. Zum besseren Verständnis möchte ich euch an dieser Stelle drei wesentliche Beweggründe für meinen Austritt anführen:

1. Abkehr vom Gründungskonsens
DIE LINKE hat sich auf eine für mich nicht mehr zumutbare Weise von ihren ursprünglichen Zielen und dem politischen Gründungskonsens der Partei entfernt. Wesentliche Themen wie soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und Frieden, für die die Partei einmal angetreten ist, sind in den letzten Jahren immer mehr aus dem Blickfeld geraten und wurden ersetzt durch kalten Pragmatismus im Parlamentsbetrieb, wirkungslose Symbolpolitik und die einseitige Fokussierung auf die Lifestylethemen eines jungen, woken Großstadtmilieus. Die realen Sorgen und Nöte der einfachen Menschen, das heißt der Mehrheit der Lohnabhängigen, der Arbeitssuchenden und der Rentner spielen dagegen kaum noch eine Rolle. In der Konsequenz hat sich so trotz der Beteiligung der Bremer LINKEN an der Landesregierung nichts an der sozialen Spaltung im Bundesland geändert. Tatsächlich ist in den vergangenen vier Jahren unter „Rot-Grün-Rot“ die Kluft zwischen Arm und Reich sogar noch größer geworden. So liegt die Armutsgefährdungsquote in Bremen inzwischen bei über 28 Prozent und ist damit die höchste aller Bundesländer überhaupt. Insgesamt sind mehr als 100.000 Bremerinnen und Bremer von staatlichen Transferleistungen abhängig. Armut, so scheint es, wird in Bremen nur noch verwaltet, aber nicht bekämpft. Auf der anderen Seite wird die soziale Infrastruktur Bremens unter linker Regierungsbeteiligung weiter finanziell und personell ausgeblutet. Marode Schulen, kaputte Straßen und eine gesundheitliche Unterversorgung prägen das Bild der sozial abgehängten Stadtteile Bremens. Gleichzeitig fehlt es akut an (bezahlbarem) Wohnraum für Normalverdiener, nicht zuletzt, weil der soziale Wohnungsbau aufgrund einer verfehlten Stadtentwicklungspolitik, in der vor allem auf Privatisierung und „Wirtschaftlichkeit“ gesetzt wurde und nicht auf Gemeinwohlorientierung, schlicht an die Wand gefahren wurde.

Die Bremer Regierungslinke hat der sozialen Spaltung der Stadt und dem Verfall der öffentlichen Infrastruktur substantiell nichts entgegenzusetzen. Stattdessen loben sich deren exponierte Vertreter gerne für ihre „gute“ Parlamentsarbeit und feiern selbst kleinste identitätspolitische Verbesserungen für soziale Randgruppen als große Erfolge, während innerparteiliche Kritiker politisch kaltgestellt, stigmatisiert und unverhohlen zum Austritt aufgefordert werden. So hat die Bremer LINKE allein in diesem Jahr Dutzende von Mitgliedern verloren, die sich noch dem Gründungsgedanken nach sozialer Gerechtigkeit und Frieden verpflichtet fühlten.

2. Aufgabe von friedenspolitischen Grundsätzen
Ein weiterer wesentlicher Grund für meinen Austritt ist die Abkehr großer Teile der Partei von den friedenspolitischen Grundsätzen des Erfurter Parteiprogramms. Der entscheidende Tropfen, der hier das Fass zum Überlaufen brachte, war für mich der Beschluss des Landesparteitags vom Juni 2022, in dem kriegseskalierende Waffenlieferungen in die Ukraine und selbstschädigende Wirtschaftssanktionen mehrheitlich befürwortet wurden. Ein Tabubruch.

3. Umgang mit Sahra Wagenknecht und anderen Traditionslinken
Sahra Wagenknecht repräsentierte wie niemand anders in der LINKEN unsere ursprünglichen Ziele nach sozialer Gerechtigkeit und Frieden. Nicht zuletzt das machte und macht sie bei vielen sogenannten normalen Menschen – den Lohnabhängigen, den Erwerbslosen und Rentnern – zu einer der beliebtesten Politikerin des Landes. Über Jahre hat sie mit anderen Traditionslinken versucht, den fatalen Kurs der Partei zu korrigieren. Statt aber die wiederholten Wahlniederlagen politisch und inhaltlich aufzuarbeiten, hat der identitätspolitisch geprägte Bundesvorstand nach jeder verlorenen Wahl die Person Sahra Wagenknecht zur „Hauptschuldigen“ für die eigenen strategischen Fehler erklärt, so zuletzt in Hessen und Bayern.
Neben dem Parteivorstandsbeschluss zur Niederlegung ihres Bundestagsmandats ist der von der Bremer Fraktionsvorsitzenden federführend mitinitiierte Parteiausschlussantrag gegen Sahra Wagenknecht letztlich der entscheidende Grund für meinen Austritt gewesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass man den gesamten traditionslinken Flügel um Sahra Wagenknecht – und damit auch mich – nicht mehr in der in der von mir mitbegründeten Partei dabeihaben will.

Am Ende habe ich daher keine Chance mehr gesehen, dass sich DIE LINKE doch noch positiv verändern lässt. Außer im urbanen akademischen Milieu von Großstädten, wie z.B. Bremen, findet die Partei in den westdeutschen Flächenländern faktisch nicht mehr statt und auch im Osten Deutschlands verliert sie massiv an Wählerinnen und Wählern.

Ich bleibe meinen Prinzipien treu: Eine Stimme zu sein für die vielen Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, die ihre Interessen nicht mehr in den Parlamenten vertreten sehen und die ihre Hoffnung in die Demokratie aufgegeben haben – also für die einfachen Lohnabhängigen, Arbeitssuchenden, Rentner und Prekarisierten sowie all jene, deren Stimme nicht öffentlich nicht mehr Gehör findet, aber die der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Vernunft und Freiheit vereint.

Bremen ist übersichtlich. Ich bin mir sicher, dass ich den einen oder anderen von euch in einem anderen Zusammenhang wieder treffe und gemeinsam noch viel bewegen kann. Ich schaue nun nach vorne und verlasse die Partei ohne Groll, die immerhin achtzehn Jahre meine politische Heimat war.

Bis dahin und alles Gute
Manfred Steglich

PS: Mein Mandat als Beirat in Horn-Lehe, das ich nach über zwölf Jahren Beiratstätigkeit sehr wohl auch als persönlichen Auftrag betrachte, werde ich selbstverständlich weiter wahrnehmen.

Veröffentlicht am 30. Dezember 2023 auf der Web-Seite von Manfred Steglich: https://manfredsteglich.wordpress.com/2023/12/30/personliche-erklarung-zu-meinem-austritt-aus-der-partei-die-linke/