Ein Schritt vorwärts, zwei zurück – Das sozialdemokratische Konzept einer Grundrente

20 03 06 grundrentevon Helmuth Weiss

Einige Rentnerinnen und Rentner sollen ab 2021 über die Grundrente mehr Geld bekommen – das ist gut so. Deshalb werden Politiker der SPD nicht müde, die neue Grundrente als einen „Meilenstein in der deutschen Sozialpolitik“ (Sarah Ryglewski im Weser-Kurier vom 1.3.2020) zu bezeichnen. Hat die Sozialdemokratie also die Kurve gekriegt nach Jahrzehnten der von ihr initiierten und mitgetragenen Rentensenkungen ? Will man nun endlich die Lebensleistung hart arbeitender Menschen anerkennen? Da lohnt ein genauerer Blick.

3,5 Milliarden Euro jährlich sollten nach den ursprünglichen Plänen von Sozialminister Hubertus Heil (SPD) für die Grundrente zur Verfügung gestellt werden. Geblieben sind ca. 1,4 Milliarden Euro jährlich, ein erneuter Kniefall vor den Hardlinern der CDU/CSU.

Was bedeutet die Grundrente umgerechnet durchschnittlich für einen Rentner monatlich an zusätzlichem Einkommen: ca. 80 Euro. Ein erbärmliches Ergebnis angesichts einer Altersarmut von Rentnern, die bei ca. 20 % liegt. So erhielten Ende 2016 rund 8,6 Millionen Menschen eine Altersrente, die unter 800 Euro lag.

Und wie viele Rentner werden von einer Aufstockung profitieren ? „Insgesamt werden rund 5 % der Versichertenrenten über eine Grundrente aufgestockt“ (Referentenentwurf der Bundesregierung vom Februar 2020). Doch keine Sorge – es geht noch schlimmer: „Allerdings sollen diejenigen Personen keine Grundrente erhalten, deren Arbeitsentgelte häufig lediglich die Bedeutung eines ergänzenden Einkommens hatten, wie dies insbesondere bei „Minijobbern“ der Fall ist. Um die Zielgenauigkeit der Grundrente zu erhöhen, soll daher ein Anspruch auf die Grundrente nur dann bestehen, wenn ein Entgelt von mindestens 30 Prozent des Durchschnittsentgelts versichert worden ist.“ (Referentenentwurf Februar 2020). Tja liebe Frauen, ihr seid hier in besonderem Maße angesprochen: dumm, wenn ihr Kinder erzogen, Verwandte gepflegt und ähnliche Versorgungsleistungen erbracht habt, die für unsere Gesellschaft unentbehrlich waren und ihr deswegen nicht „vollwertig“ am Erwerbsleben teilnehmen konntet – das wird in unserem System von Sozialdemokraten nicht als Lebensleistung anerkannt, die Unterstützung verdient.

Auch mit dem maximal möglichen Zuschlag liegt die Grundrente immer noch circa 200 bis 300 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle. Wer nach 35 Jahren weniger als 347 Euro Rente bezieht, ist zu arm für die Grundrente.“ (Rainer Heyse, Seniorenaufstand)

 

 Was sagt die Deutsche Rentenversicherung dazu ?

„Die Deutsche Rentenversicherung weist darauf hin, dass die Grundrente an eine lange Pflichtversicherungszeit gebunden ist, weshalb Versicherte mit häufigeren Wechseln zwischen nicht versicherungspflichtiger Selbständigkeit und versicherungspflichtiger Beschäftigung die geplante Grundrente tendenziell gerade nicht in Anspruch nehmen können…. Wer zwischen den Erwerbsformen wechselt, wird tendenziell wenig von der Grundrente profitieren“ (Stellungnahnme der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 20.1.2020, S. 5).

 

Nach erster kursorischer Auswertung des Entwurfs werden die Verwaltungskosten im Einführungsjahr voraussichtlich mehrere hundert Millionen Euro und damit mehr als 25 Prozent der Leistungsausgaben für die Grundrente betragen.“ (Deutsche Rentenversicherung)

 

 Rainer Heyse vom Seniorenaufstand hat ausgerechnet: „Auch mit dem maximal möglichen Zuschlag liegt die Grundrente immer noch circa 200 bis 300 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle. Wer nach 35 Jahren weniger als 347 Euro Rente bezieht, ist zu arm für die Grundrente. Nach 45 Jahren liegt die Schwelle sogar bei 446 Euro.“ (Interview mit den Nachdenkseiten https://www.nachdenkseiten.de/?p=58826 ). Dass dabei Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht als Grundrentenzeiten anerkannt werden, ist nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Neoliberalismus pur, wonach Arbeitslose selbst schuld sind an ihrem Dasein und sie deshalb auch keine Lebensleistung erbracht haben.

Nach dem Referentenentwurf soll zur Einkommensanrechnung auf das zu versteuernde Einkommen des vorvergangenen Jahres abgestellt werden .... Damit werden bei Rentenbeginn regelmäßig zunächst die Einkommensverhältnisse in der Erwerbsphase maßgeblich sein, so dass die Grundrente in vielen Fällen erst im zweiten oder dritten Rentenbezugsjahr zu zahlen sein dürfte.“ (Deutsche Rentenversicherung)

 

 Wie ist die beabsichtigte Grundrente einzuschätzen ?

Sie ist ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn es darum geht, die Altersarmut von Rentnerinnen und Rentnern wirksam einzudämmen. Ein medial aufgeplustertes Spektakel, das den berechtigten Niedergang der SPD bei Wahlen aufhalten soll. Ein Ansatz, der neoliberales Denken nicht verlässt und die Werte „sozial“ und „demokratisch“ nicht mehr erkennen lässt. Vielleicht sollte die SPD ja doch über eine Namensänderung nachdenken, z.B. in ASPD (Auslaufmodell Sozialdemokratische Partei Deutschlands).

Leistungsberechtigte vierter Klasse wären künftig diejenigen, die die Anspruchsvoraussetzungen von 33 Grundrentenjahren nicht erreichen und deshalb keinen Zuschlag erhalten. Dies dürfte der größte Teil der Menschen sein, denen Armut im Alter droht, unter dem derzeitigen Beziehenden von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beträfe das etwa 90 Prozent.“ (Stellungnahme des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zum Referentenentwurf)

 Die Alternative

Die Anerkennung der Lebensleistung derjenigen, die unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben – viele davon ohne auch nur im Ansatz anständig bezahlt worden zu sein – erfordert einen weitreichenden Eingriff in unser Gesellschaftssystem. Das bedeutet nicht, dass wir nicht mit schnell und kurzfristig durchsetzbaren Veränderungen schon vieles verbessern könnten.

Bevor wir zu einigen Eckpunkte für eine qualitativ neue Rentenpolitik kommen, zunächst ein Blick auf unsere Nachbarländer.

Es lohnt vor allem, sich die Verhältnisse in Österreich etwas genauer anzusehen. Seit 1988 ist dort der Beitragssatz zu Rentenversicherung stabil bei 22,8 %. Das Besondere daran: Arbeitgeber zahlen davon mehr als die Hälfte, nämlich 12,55 %, Arbeitnehmer 10,25 %. Ein Verhältnis, das wir uns durchaus als Vorbild nehmen sollten. Umgerechnet auf einen Monat – denn in Österreich wird die Rente 14 mal pro Jahr ausgezahlt – erhalten Rentner ca. 1000 Euro mehr pro Monat, Rentnerinnen 500 Euro mehr als in Deutschland. Während die Bruttolohnersatzrate in Deutschland bei 38 % liegt, liegt sie in Österreich bei 78 % ! Auch an Niedrigverdiener hat man in Österreich gedacht: deren Rente wird aktuell auf 1088 Euro brutto aufgestockt, wer mindestens 30 Jahre gearbeitet hat bekommt eine Mindestrente von 1223 Euro. Steuern werden bei diesen niedrigen Renten nicht fällig. Sollten die Beiträge übrigens nicht ausreichen, dann gibt der Staat eine Ausfallgarantie. Offensichtlich ist in Österreich der Wille zu einer humanen Rentenpolitik deutlich stärker ausgeprägt als bei uns: während in Deutschland 10 % des Bruttoinlandsprodukts dafür aufgewendet werden, sind es in Österreich ca. 14 %.

Blicken wir auf einen anderen Nachbarn, Dänemark.

Die Brutttolohnersatzquote liegt bei Normalverdienern bei 86,4 % (zur Erinnerung: Deutschland 38 %), bei Kleinverdienern bei 123,4 %. Nein, das ist keine Tippfehler: Kleinverdiener erhalten in Dänemark als Rentner deutlich mehr als im Berufsleben. Ein wirklich gelungener Ansatz, die Ungerechtigkeiten des Arbeitslebens wenigstens ein Stück weit auszugleichen.

In den Niederlanden liegt die Bruttolohnersatzquote übrigens bei 96,9 %. In Belgien bekommen Rentner sogar Urlaubsgeld und in Luxemburg mit seiner Mindestrente von 1841,51 Euro (bei 40Versicherungsjahren) kann man schon mit 57 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen.

Eckpunkte für ein gerechtes Rentensystem der Zukunft

Grundrente als Sofortmaßnahme

Damit die jetzige Rentnergeneration in Würde leben kann, sollte jeder Rentner, der eine bestimmte Anzahl von Jahren während der Erwerbsphase in Deutschland gelebt hat, in Dänemark sind das 40 Jahre, eine Mindestrente nicht unter 1300 Euro erhalten. Sollten die selbst erworbenen Rentenpunkte nicht ausreichen, muss der Rest aus Steuermitteln finanziert werden. Steuern fallen auf diese Grundrente nicht an.

Erhöhung der Rentenpunkte

Niedrige Einkommen müssen aufgewertet werden (Mindestentgeldpunkte), Zeiten von Arbeitslosigkeit, Ausbildung, Kindererziehung und Pflege müssen deutlich höher bewertet werden bzw. wieder eingeführt werden.

Erwerbstätigenversicherung durch Einbeziehung aller Erwerbspersonen

Durch die schrittweise Einbeziehung aller Erwerbspersonen würde die Zahl der Beitragszahler um ca. 10 Mio. ansteigen (momentan 33 Mio.)

Abschaffung der Rieser-Rente

Die Riester-Rente, die in erster Linie ein milliardenschweres Programm zur Bereicherung der Versicherungswirtschaft ist, muss abgeschafft werden, alle darin enthaltenen staatlichen Zuschüsse gehen an die gesetzliche Rentenversicherung. Private, selbst finanzierte Zusatzversicherungen sind natürlich unbenommen.

Abschaffung bzw. qualitative Erneuerung der Betriebsrenten

Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze und Einführung einer Höchstrente

Das Lohnsystem muss neu strukturiert werden (deutlich höherer Mindestlohn, Erhöhung niedriger Einkommen)

Staatliche Eingriffe verändern

Staatliche Zuschüsse müssen eine mögliche Unterfinanzierung der Rentenkasse ausgleichen, alle versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung müssen ausgeglichen und aus Steuermitteln finanziert werden.

Ein moderat höherer Beitragssatz in Renten- und Arbeitslosenversicherung sind gut zu verkraften.

Die paritätische Finanzierung der Rente muss schrittweise aufgehoben werden, der von den Arbeitgebern zu finanzierende Anteil muss erhöht werden (vgl. Österreich)

Rente mit 65

Niemand sollte gezwungen werden, länger als bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten. Freiwilliges längeres Arbeiten ist davon natürlich nicht betroffen. Bei 40 Beitragsjahren sollte man bereits mit 60 in Rente gehen können.

 

Finanzierung einer gerechten Rentenpolitik

Der zentrale Hebel für ein würdevolles Leben im Alter ist eine Umverteilung von Reich zu Arm, die über eine qualitativ neue Steuerpolitik möglich ist. Also: Höherer Spitzensteuersatz, deutlich höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften, Wiedereinführung einer Vermögenssteuer (nebenbei: die USA und Großbritannien besteuern Vermögen bis zu sechsmal mehr als in Deutschland, allein eine Vermögenssteuer im Durchschnitt der OECD-Länder würde sofort 21 Milliarden Euro an steuerlichen Mehreinnahmen bedeuten). Auch eine veränderte Erbschaftssteuer würde – bei jährlichen Erbschaften in Höhe von 400 Milliarden Euro – einige Dutzend Milliarden in die Staatskasse spülen.

Ca. 400 Milliarden Euro werden von den Reichen dieses Landes in Steueroasen geparkt, selbst den gegenwärtigen, ungerechten Steuersatz unterstellt, lässt sich die Politik damit 100 Milliarden an Einnahmen entgehen. Man kann auch sagen: sie werden den Reichen geschenkt.

Eine Politik, die hunderte von Milliarden ausgibt, um Zockerbanken vor der Pleite zu schützen, aber Zeter und Mordio schreit, wenn jährlich 1,4 Milliarden für eine erbärmliche Grundrente aufgebracht werden sollen, eine Politik, die Unsummen in die Militarisierung unserer Gesellschaft steckt, die Milliarden an Subventionen und Steuergeschenken für die Reichen ermöglicht, hat ihre moralische Integrität längst verloren.

Ein paar Zahlen noch zum Schluss: Durch den abgesenkten Rentenbeitrag in den vergangenen Jahrzehnten und die Entgeltumwandlung haben die Unternehmen in der Vergangenheit ca. 200 Milliarden Euro zusätzlich geschenkt bekommen (noch einmal soviel durch die gesenkten Beiträge für die Arbeitslosenversicherung), hat die Versicherungswirtschaft durch den Verkauf von Millionen privater Altersversicherungsverträge Unsummen verdient.

Es ist also Zeit für eine Wende.

 

 

Empfehlungen zum Weiterlesen

https://www.nachdenkseiten.de

https://www.seniorenaufstand.de

Holger Balodis und Dagmar Hühne: Rente rauf! So kann es klappen, DVS Verlag, 204 Seiten, 18 Euro (ISBN 978-3-932246-98-2)