Der Linkspopulismus macht eine schwierige Zeit durch. Podemos steckt in Schwierigkeiten, ebenso France insoumise. Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass in diesem „populistischen Moment“, wie Sie es nennen, der Linkspopulismus auf dem Rückzug ist statt voranzuschreiten? Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe dafür, dass der Linkspopulismus keine wirkliche Machtoption in Europa darstellt?

Es besteht kein Zweifel daran, dass der Linkspopulismus gegenwärtig im Hintertreffen ist. Aber immerhin können wir von einem Linkspopulismus sprechen. Lange Zeit kam jeder Widerstand gegen die Postdemokratie von rechts. Erst seit Kurzem erleben wir die Entstehung eines Linkspopulismus mit solchen Kräften wie Podemos, France insoumise und der Entwicklung von Labour unter Corbyn.

Populismus ist für mich, so wie es auch Ernesto Laclau versteht, eine Strategie zum Aufbau einer „politischen Trennlinie“. Endlich gibt es auf der linken Seite eine Reaktion gegen das, was ich als „Post-Politik“ bezeichne, also die Verweigerung jeglicher Abgrenzung in der Politik. Seit Tony Blair die Sozialdemokratie als „dritten Weg“ umdeutete, hatte man die Vorstellung aufgegeben, dass man sich dem Neoliberalismus entgegenstellen müsse. Allgemein wurde die Meinung vertreten, es gebe keine Alternative zu diesem Modell und es müsse schlicht akzeptiert werden. Bestenfalls könnten Sozialdemokraten die Wirtschaft durch ein bisschen Umverteilung humaner gestalten. Die „Linken in Anführungszeichen“ (wie sie in Spanien genannt werden) hielten es nicht für nötig, eine Strategie gegen den Neoliberalismus anzubieten. Das dauerte bis etwa 2011-2012, dem Moment, in dem die Unterscheidung zwischen links und rechts allmählich verblasste. Von da an wurde dieses Modell endlich von einigen linken Parteien hinterfragt.

Endlich gibt es progressive Bewegungen, die die "Post-Politik" in Frage stellen.

Anders als Sie sehe ich also eher die positive Seite – endlich gibt es progressive Bewegungen, die die „Post-Politik“ in Frage stellen. Was wir brauchen, ist eine linksgerichtete Strategie, die die politische Trennlinie auf populistische Weise wiederherstellt. Die politische Trennlinie existiert übrigens auch seitens des Marxismus, der radikalen Linken. Sie sind allerdings der Ansicht, dass diese Trennlinie entlang der Grenze Proletariat/Bürgertum konstruiert werden muss.

Bis vor kurzem hatten wir also nur diese beiden Perspektiven: die Sozialdemokratie bzw. die linke Mitte, bei der keine Trennlinie existiert und in der höchstens hier und da einige kleine Reformen möglich sind, und auf der anderen Seite die revolutionäre Strategie. Es gab keine echte Alternative, die nicht das Ende der liberal-pluralistischen Regierungsform bedeutet hätte.

Es erscheint mir sehr positiv, dass in den letzten Jahren die Notwendigkeit einer Strategie des „radikalen Reformismus“ erkannt wurde. Dieser besagt, dass es möglich ist, Dinge zu ändern, ohne das System auf revolutionäre Weise in Frage zu stellen und dass Alternativen zur neoliberalen Globalisierung möglich sind. Dass diese Parteien noch nicht an die Macht gekommen sind, finde ich normal.

Warum hat sich Podemos geirrt, als sie glaubten, die Mehrheit erringen zu können?

Sie haben die populistische Strategie mit einer Strategie von politischen Bewegungen verwechselt. Eine populistische Strategie ist für mich immer eine Strategie der Auseinandersetzung um Positionen. Wenn man akzeptiert, dass die populistische Strategie – und damit meine ich die Errichtung einer Trennlinie nicht auf der Grundlage der Dichotomie zwischen bürgerlich/proletarisch oder Kapital und Arbeit, sondern zwischen Volk und Oligarchie oder Establishment – eine Auseinandersetzung um Positionen ist, dann versteht man die Schwierigkeiten in den genannten drei Fällen besser und man versteht, dass sie keineswegs gescheitert sind.

Es geht darum, die Auseinandersetzung voranzubringen. Wenn wir es nicht schaffen, auf dieser Grundlage ein Projekt zu entwickeln, werden wir es überhaupt nicht schaffen, Alternativen zu entwickeln. Wir befinden uns in einem entscheidenden Moment. Wir erleben eine Krise der neoliberalen Hegemonie. Vielleicht befinden wir uns noch nicht am Rande einer Wirtschaftskrise, aber die Überzeugung, dass der Neoliberalismus die Lösung bietet, hat an Glaubwürdigkeit verloren. Die Krise von 2008 hat diesen Prozess in Gang gesetzt. Bis dahin galt die neoliberale Globalisierung als unser Schicksal und der angelsächsische Kapitalismus als endgültige Antwort (siehe Francis Fukuyama usw.). (...)

der vollständige Artikel hier: https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/detail/die-wette-auf-den-linkspopulismus-3688/