Wer mit NEIN stimmt, ermöglicht die Bebauung der ehem. Galopprennbahn, bzw. des Golfplatzes. Hier eine Stellungnahme von Rodolfo Bohnenberger für diese Position

Vorweg ein LINK zu sehr empfehlenswerten, vertiefenden Beiträgen von Rainer Dietrich in den Bremer Nachdenkseiten dazu.

Viele neoliberal geprägte Gesetzesänderungen der letzten 40 Jahre wie

  • die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch CDU/FDP 1989,
  • kommunale Entscheidungen zum Verkauf kommunalen Grunds und kommunaler Wohnungsbestände durch SPD/CDU (vom Verkauf der "Bremischen" und der "Beamtenbau" profitierte letztlich VONOVIA und Grand City Property),
  • wie auch die viel zu kurze Bindung von Sozialwohnungen von nur 20 Jahren,

führten zur massiven Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes im Land Bremen von ca. 80.000 (1990) auf ca. 8000 (2016) und zu einem gigantischen Anstieg der Mieten. Laut einer Studie der Hans Böckler Stiftung fehlen in Bremen über 54.000 bezahlbare Wohnungen, in Bremerhaven 10.000. Einkommensärmere Menschen, besonders in Bremen zahlreich vertreten, sind besonders auf Mietwohnungen von ca. 5 Euro pro Quadratmeter angewiesen. Aber die zu 75,1% in kommunalem Aktienbesitz befindliche (auch renditeorientiert agierende) GEWOBA mit ca. 40.000 Wohnungen liegt im Bestand im Durchschnitt bei 6,04 (2017) Euro/qm. Die durchschnittlichen Bestandsmieten lagen in Bremen 2018 bei 6,24 in der Vahr und 6,72 in der Stadtmitte. Die bei Wohnungsuchenden fälligen Angebotsmieten lagen 2017 schon bei 7,09 in der Vahr und 9,69 in der Stadtmitte. Deshalb versucht jede*r, der/die kann, Umziehen tunlichst zu vermeiden. Bei den Mietsteigerungen und im prozentualen Anteil für Miete am Einkommen (Platz 5 der Großstädte) gehört Bremen bundesweit zu den traurigen Spitzenreitern. Ca. die Hälfte der Mietere*innen müssen über 30% ihres Einkommens für Miete ausgeben. Einkommensärmere Bremer Bürger*innen und Mieter*innen wurden von den letzten sechs Landesregierungen dem Wahnsinn der renditeorientierten "Marktkräfte" ausgeliefert.

Der Deutsche Städtetag erklärt die Befristungen der Bindungen im sozialen Wohnungssektor zum zentralen Problem der derzeitigen Förderprogramme und plädiert für die Einführung einer sozialen Wohnraumförderung, die sicherstellt, dass dem Einsatz öffentlicher Gelder – sei es durch Steuerverzicht, Steuergutschriften, Zuschüsse oder Förderdarlehen – auch ein dementsprechender dauerhafter öffentlicher Zweck gegenübersteht, sodass ein Wohnungsstock geschaffen werden kann, der geringverdienenden Menschen in den Städten und Regionen dauerhaft zur Verfügung steht.

Nur wenn mit einer unbefristeten Sozialbindung und kommunal gebaut würde, dann wäre, neben Grün-, Sport- und Erholungsflächen, ergänzt durch notwendige neue soziale Infrastruktuer (KiTa, Grundschule, Freizeitheim, Altenbegegnungstätte usw.) auch eine ausgewogene Teilbebauung der ehemaligen Galopprennbahn, bzw. des Golfplatzes als gesamtstädtisches Projekt im Interesse eines "dauerhaften Wohnungsstockes" für Geringverdiener ein Segen. Sollten sich aber wieder die Immobilienlobbyisten und ihre politischen Helfershelfer durchsetzen und renditeorientierte, hochpreisige Wohnungen bauen (mit einer 25-30% Sozialwohnungsquote für nur 20 Jahre), dann werden wir weiter die Fehlentwicklungen und die Bodenspekulation erleben, wie auf dem Stadtwerder, der Überseestadt, dem ehemaligen Kellogsgelände oder aktuell die Verscherbelung kommunalen Bodens für bis zu 1500,-/qm auf dem Hulsberggelände.

Rennbahnquartier BremenDie Landesregierung steht also in der Pflicht, hier - wie vor der Wahl versprochen - dauerhaft bezahlbare Wohnungen (d.h. mit Bruttomieten von 5 Euro/qm) und ein ökologisches und soziales Modellprojekt zu schaffen. Das setzt natürlich voraus, dass der Volksentscheid eine Bebauung überhaupt zulässt.

Es wäre allerdings illusorisch zu glauben, dass Politiker*innen sich von alleine an dieses Wahlversprechen halten werden, zumal bei einem Regierungswechsel auch noch ganz andere Interessen und Lobbygruppen das Sagen haben könnten. Die in der Voksabstimmung angebotenen Alternativen sind letztlich Black-Boxes. Es wird ohnehin wesentlich auf eine breite Basisbewegung (unterstützt durch begleitende Gremienarbeit) ankommen, um die Politik vor sich her zu treiben. Die Kampfbedingungen für eine solche Bewegung und die Rahmenbedingungen für eine sinnvolle Bebauung verbessern sich durch die grundsätzliche Ermöglichung der Bebauung.

Warum sollten Partikularinteressen von wesentlich "anwohnenden" Eigenheimbesitzern plus Golfern und Galopprennfans incl. ihrer Rechtsanwälte (das waren die Initiatoren) unterstützt durch Parteien wie CDU, FDP und "Bürger in Wut" den Vorzug bekommen gegenüber gesamtstädtischen Wohnungsbau-Planungen im Interesse der Mehrheit ihrer Bürger und Mieter?

Rennbahn angrenzende QuartiereDie unmittelbar angrenzenden Wohnviertel wie Gartenstadt Vahr, der 4-stöckige Geschossbau um den Carl-Gördeler Park oder das zu Sebaldsbrück gehörende Wilhelm Busch Viertel und das ausgedehnte Kleingartenviertel im Süden sind nicht, wie oft behauptet, besonders dicht bebaut, von einer ausgeprägten Betonwüste kann nicht die Rede sein (trotz Real und Mercedes in der Nähe). Und eine teilweise dichte Bebauung der Rennbahn/Golfplatz ist (gut gemacht) nicht per se schlecht, siehe Andrej Holm´s Stellungnahme im Rennbahn-Ausschuss. Am dichtesten bebaut in Bremen ist z.B. das sehr beliebte "Viertel".

Natürlich darf die ohnehin schon prekäre soziale und Bildungs-Infrastruktur der nachbarlichen Orsteile NICHT durch die neuen Mitbürger in den geplanten ca. 1200 Wohnungen überfrachtet werden, sondern mit den neuen Wohnungen muss auch neue soziale Infrastruktur entstehen. Wir sollten nicht der spalterischen Versuchung erliegen, die berechtigten Interessen nach grünen und sportlichen Erholungsflächen (die aktuell zu 50% Teile der Planung sind)  gegen die berechtigten Wohnbedürfnisse der Geringverdienenden, bzw. auf dem Wohnungsmarkt Diskriminierten auszuspielen; auch nicht die berechtigten Wohnbedürfnisse von Beschäftigten bei Mercedes und seiner outgesourcten Fremdfirmen (incl. der prekären Beschäftigungsverhältnisse dort im Niedriglohnbereich) gegen andere Lohnarbeitende ins Feld führen. Und: zu glauben, die Ablehnung der Bebauung würde zu einem grünen Erholungsidyll führen, könnte sich als illusorisch raustellen. Stehen doch die Golfer und ihre Rechtsberater schon in den Startlöchern, um ihren "verlorenen" Golfplatz (als Sportfläche) zurückzuerobern.

Und wer weiß, auf welche spitzfindigen Ideen die Bodenspekulanten mit der Aussicht auf eine Millionenrendite (vom Sportplatz zum Bauland ! = 500% Wertsteigerung) auf dem "Spekulanten-Sahnestück" noch kommen könnten. Um sich kundig zum machen zur Bodenspekulationsdynamik und den (ach so hochgepriesenen) europäischen Gesetzesstolperfallen, die hier ebenfalls mit reinspielen, empfehle ich den sehr guten Artikel von Rainer Dietrich in den Nachdenkseiten Bremen: https://www.nachdenken-in-bremen.de/rennbahn.htm

Die von #Aufstehen Bremen von Beginn an unterstützte und nach der großen Mietendemo in Bremen gestärkte Bewegung für (echtes) bezahlbares Wohnen sollte sich (neben einer Vielzahl weiterer kommunaler Gestaltungsmöglichkeiten) auf folgenden kurz-, mittel und langfristigen Dreiklang konzentrieren:

A. sofortige, wirksame bremenweite Mietendeckelung (z.B. für 10 Jahre)

B. kommunal und genossenschaftlicher Neubau im niedrigpreisigen Segment mit unbegrenzter Sozialbindung in kommunaler Hand

C. Vergesellschaftung der Wohnungsbestände von Heuschrecken wie z.B. Vonovia & Grand City Property.

transpi wohnung ist ein menschenrechtNur auf Grundlage so eines Konzeptes, unterstützt durch eine breite Bewegung, können die für niedrige Einkommensbezieher (die Hans-Böckler Stiftung hat über 50.000 Haushalte mit diesem Bedarf in Bremen errechnet) so wichtigen bezahlbaren Mieten von 5,- Euro/qm (Bruttokaltmiete) nachhaltig errungen werden. Wie auch immer diese Wahl und der Volksentscheid der zwei Black-Boxes ausgeht, danach geht es erst so richtig los. Der größte Fehler wäre, auf "die Politik" zu warten, mit dem Kreuz bei der Wahl zu hoffen, die Verantwortung an Vertreter*innen in der repräsentativen, parlamentarischen "Demokratie" abgeben zu können (siehe dazu den sehr guten Vortrag von Prof. Mausfeld). Eine parteiübergreifende Bewegung wie #Aufstehen tritt dafür ein, dass wir es selbst in die Hand nehmen, auch innerhlab einer starken Mieter-Bewegung, an der Seite derjenigen von #unten, die in dieser Gesellschaft keine Stimme und keine Vertretung im Parlament mehr haben. Die Demonstration der ca. 1700 Menschen am 23. März war schon ein guter Anfang.

(30.04.2019, Rodolfo Bohnenberger, langjährig aktiv im Bremer Bündnis Soziale Arbeit, Lehrbeauftragter an der Hochschule Bremen im Studiengang Soziale Arbeit, aktiv in der Koordinationsgruppe von "Aufstehen Bremen")