Walter Ruffler: Ideenskizze zu einem Corona Untersuchungsausschuss

Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Corona-Krise werden von einem Großteil der Bevölkerung akzeptiert, aber es gibt auch Kritik: An Art und Umfang der Grundrechtseinschränkungen und an ihrer administrativen Umsetzung, Untersuchungsausschussan der Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus und den gesundheitspolitischen Maßnahmen, an Art und Dauer der Kontaktbeschränkungen, am Lockdown der Wirtschaft und den verhängten Berufsverboten. Ungewiss sind die mittel- und langfristigen Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben, das soziale Gefüge in unserem Gemeinwesen und den Arbeitsmarkt.

Ein Untersuchungsausschuss sollte klären, inwieweit die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen angemessen sind, wie die negativen Folgen der Maßnahmen und der Krise abgewendet werden können und zur Prophylaxe, zur besseren Bewältigung möglicher zukünftiger Epidemien. Nachstehend die Überlegungen von unserem Mitstreiter Walter Ruffler zu einem derartigen Ausschuss als Diskussionsgrundlage.

A. Die Grundfragen sind:

1. Was soll untersucht werden?
2. Wer setzt den Untersuchungsausschuss ein?
3. Wie setzt sich der Ausschuss zusammen?
4. Welche Kompetenzen / Rechte hat der Ausschuss?
5. Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Untersuchungsergebnissen?

B. Im Einzelnen

zu 1.: Was soll untersucht werden?

1.1. Juristische Aspekte

  • Welche Evidenz gab es für die Ausrufung einer „Pandemie von nationaler Tragweite“?
  • Waren die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes angemessen?
  • Entsprechen die Gesetzesänderungen rechtsstaatlichen Standards?
  • Waren Umfang und Dauer der Grundrechtseinschränkungen angemessen?
  • Waren die Grundrechtseinschränkungen angemessen hinsichtlich ihrer beabsichtigten Wirkung?
  • Wie wurden die Grundrechtseinschränkungen polizeilich umgesetzt?
  • Welche Grundrechtseinschränkungen wurden durch Gerichte aufgehoben, welche nicht – Begründungen?
  • Warum blieben sämtliche Rechte der Kinder und Jugendlichen nach UN-Kinderrechtskonvention (von Deutschland 1992 ratifiziert) völlig unberücksichtigt? War dies völker- oder bundesgesetzwidrig? (Recht auf Gesundheit, Erholung, Sport und Spiel; auf gesunde und abwechslungsreiche Ernährung; auf Bildung; das Recht von Eltern und Kindern auf besonderen Schutz des Staates).

1.2. Administrative Aspekte

  • Waren die Behörden angemessen auf die Pandemie vorbereitet (z.B Schutzausrüstung für medizinisches Personal und Pflegekräfte)?
  • Haben Politik und Behörden angemessen auf die Corona- Pandemie reagiert?
  • Warum wurden Karnevalsveranstaltungen (in Gangelt), Bierfeste (in Bayern) und Après Ski- Feiern (in Ischgl) nicht untersagt, obwohl man davon ausgehen konnte, dass sich diese Ereignisse zu Hotspots entwickeln könnten?
  • Haben Politik und Behörden anfänglich die Krankheit unterschätzt („leichte Grippe“) und später die Gefährlichkeit überzeichnet („Killervirus“)? Wie konnte das geschehen?
  • Warum konnten noch lange nach Anordnung des Lockdowns Menschen selbst aus Hochrisikogebieten ohne jede Kontrolle und ohne Test auf mögliche Infektion nach Deutschland einreisen?
  • Wurde später bewusst eine Massenangst erzeugt, um die Bevölkerung besser beeinflussen zu können?

1.3. Medizinische Aspekte

  • Wie groß ist die Gefährlichkeit des Corona-Virus tatsächlich? Unter welchen Bedingungen?
  • Welche Vergleiche können gezogen werden zu vorherigen Epidemien mit der Beteiligung von anderen Viren aus der Corona-Familie oder gänzlich anderen Viren?
  • Wie angemessen waren die ergriffenen medizinischen Maßnahmen?
  • Welche Auswirkungen hatte die Verschiebung von Operationen anderer Krankheiten, um Intensivbetten für mögliche Corona-Patienten freizuhalten?
  • Welche Bedeutung hat die weltweite industrialisierte Landwirtschaft für die Entstehung und Verbreitung des SARS-CoV-2 – Virus (Zurückdrängung der natürlichen Lebensräume von Wildtieren in Ländern der Dritten Welt und Massentierhaltung in den industrialisierten Ländern)?

1.4. Psychosoziale Aspekte

  • Welche Auswirkungen hatte die Einschränkung der Kontakte (social distancing) insbesondere auf die Bewohner von Senioren- und Pflegeeinrichtungen
  • Welche Auswirkungen hatte die Einschränkung der Kontakte (social distancing) insbesondere auf Kinder und Jugendliche in ihren verschiedenen familiären und sozialen Lebensbezügen (auch in Heimeinrichtungen)?

1.5. Wirtschaftliche Aspekte

  • Welche Auswirkungen hatte die Krise aufgrund der weltweiten Vernetzung der Handelsbeziehungen (Störungen von Lieferketten und internationalen Absatzmärkten)?
  • Welche wirtschaftliche Auswirkungen hatte der von der Bundesregierung angeordnete Lockdown in Deutschland?
  • Welche mittel- und langfristigen Auswirkungen ergeben sich hinsichtlich Insolvenzen und Konkursen und Arbeitslosigkeit?
  • Welche Auswirkungen haben die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen von Bundes- und Länderregierungen je nach Branchen Firmengrößen (z.B. Dax- Unternehmen, mittelständische Unternehmen, Solo-Unternehmen usw.)
  • Welcher Reformbedarf zeigt sich angesichts von COVID-19 weltweit und auch national bei der industrialisierten Landwirtschaft angesichts wiederholt aufgetretener Zoonosen (Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen)?

1.6. Schichtenspezifische Aspekte

Sind bestimmte gesellschaftliche Gruppen (Obdachlose, Hartz IV- Empfänger, „Arme“, Alleinerziehende, MitbürgerInnen ohne deutschen Pass und / oder ohne ausreichende Deutschkenntnisse, u.a.) in besonderer Weise von der Krankheit und/oder den administrativen Maßnahmen betroffen?

1.7. Genderspezifische Aspekte

  • In welchem Maße haben die ergriffenen Maßnahmen die Last der Sorge- und Care-Arbeit einseitig auf Frauen abgeladen?
  • Inwieweit trugen die Maßnahmen dazu bei, die Berufstätigkeit von Frauen einzuschränken?

1.8. Bildungs-, hochschulpolitische, kultur- und sportpolitische Aspekte

Wie wirkten sich die Maßnahmen aus auf Kitas, Grundschulen, weiterführende Schulen, Hochschulen, außerschulische Bildungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Kultur- und Sporteinrichtungen aus?

1.9. Wohnungs- und stadtentwicklungspolitische Aspekte

  • Inwieweit waren die ergriffenen „Bleib zuhause“ - Maßnahmen für Menschen in Massenunterkünften, in engen und dichten Wohnbocks in Quartieren ohne Grün- und Erholungsfläche a) undurchführbar, b) unzumutbar, c) eher gefährdend als nützlich?
  • Inwieweit war die Sperrung sämtlicher Spielplätze an der frischen Luft sinnvoll bzw. kontraproduktiv?

1.10. Beurteilung der Maßnahmen im internationalen Vergleich

  • Wie wirkte sich die Corona- Pandemie in anderen Ländern aus (z.B. China, USA, Russland, Ungarn, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien, Spanien, Niederlande, Schweden, Türkei, arabische Länder, Afrika, Lateinamerika)?
  • Wie reagierten das politische und das Gesundheitssystem dieser Länder auf die Pandemie?
  • Welche Personengruppen wurden besonders betroffen, warum?
  • Wie wird der „schwedische Sonderweg“ eingeschätzt?

1.11. Berichterstattung in den Medien inkl. der „sozialen“ Medien

  • Wie wurden die Krankheit und die administrativen und gesundheitspolitischen Maßnahmen dargestellt?
  • Wie wurde über die Kritik an den staatlichem Maßnahmen berichtet?

Zu 2.: Wer setzt den Untersuchungsausschuss ein?

  • Auf Bundesebene: der Deutsche Bundestag
  • Auf Länderebene (falls notwendig): die jeweiligen Landtage

Zu 3.: Wie setzt sich der Untersuchungsausschuss auf Bundesebene zusammen?

3.1. 10 x Parlamentarier
3.2. 3 x Mediziner mit unterschiedlichen Positionen zur Corona-Krise
3.3. 3 x Psychologen / Soziologen / (Sozial-) Pädagogen / Erzieherinnen
3.4. 3 x Wirtschaftsvertreter (Groß-, Mittel- und Solo-Unternehmer)
3.5. 2 x Arbeitnehmervertreter (Gewerkschaftsfunktionär, Betriebsrat)
3.6. 2 x Pressevertreter
3.7. 7 x Vertreter gesellschaftlicher Gruppen (Pflegekräfte, Lehrer, Elternvertreter, Flüchtlingsorganisation, Kinderschutzbund, Jugendvertreter, Frauenbeauftragte usw.)

30 Personen

Der intendierte „Untersuchungsausschuss“ ist kein üblicher parlamentarischer Untersuchungsausschuss, sondern ein Ausschuss der besonderen Art, eben mit Bürgerbeteiligung: Eine Mischung aus Volk und Volksvertretern, die sich auf der Arbeitsebene begegnen. Das finde ich charmant. Dieses neue Format müsste vom Bundestag eingerichtet werden. Gegebenenfalls müsste ein neuer Begriff für dieses Gremium gefunden werden, z.B. „Evaluations-Kommission“ oder ähnlich. Wenn man davon ausgeht, dass der Ausschuss mehrere thematische Untergruppen bildet, könnte er auch 50 oder 100 Mitglieder umfassen, ohne dass seine Arbeitsfähigkeit leiden müsste. Entsprechend höher könnte der Anteil der beteiligten Bürger sein, die ganz oder teilweise durch ein Losverfahren bestimmt werden könnten.

Zu 4.: Welche Rechte hat der Untersuchungsausschuss?

4.1. Informationsrechte gegenüber staatlichen Stellen und Behörden (Akteneinsicht, Befragung von Betroffenen, Experten usw.)
4.2. Erstellung eines Ergebnisberichts. Dieser kann unterschiedliche Standpunkte enthalten (Minderheitsvoten).
4.3. Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung und eine Struktur.
4.4. Zur Bewältigung der Arbeit wird dem Ausschuss ein Büro mit entsprechendem Personal eingerichtet. Die Kosten der Ausschussarbeit trägt der Staat.
4.5. Der Ausschuss tagt öffentlich, es sei denn, die Vertraulichkeit wird von der Mehrheit beschlossen.
4.5. Der Ausschuss kann Unterausschüsse zu bestimmten Fragenkomplexen einrichten.
4.6. Der Ausschuss kann öffentliche Veranstaltungen durchführen (z.B. Expertenanhörungen, Diskussion mit Betroffenen usw.).
4.7. Der Ausschuss und seine Unterausschüsse können Ortstermine wahrnehmen, wenn dies für die Urteilsbildung notwendig ist (z.B. in einem Krankenhaus, einer Pflegeeinrichtung, Kita, Schule, Schlachthof usw.).
4.8. Der Ausschuss informiert die Öffentlichkeit kontinuierlich über den Stand der Untersuchungen.

Zu 5.: Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Untersuchungsergebnissen?

Der Ausschuss trägt durch die kontinuierlichen Berichte zur Meinungsbildung in der Öffentlichkeit bei.
Der Ausschuss spricht Empfehlungen für die untersuchten Bereiche aus.

Walter Ruffler, Bremen, Stand: 12.07.2020