"Kohleaustiegsgesetz": noch 18 Jahre Kohleverstromung und Entschädigungen in Milliardenhöhe an RWE & Co?

(von Gerd Bock) Nach dem sog. „Kohleausstiegsgesetz“ der Bundesregierung dürfen Kohleförderung und – verstromung noch 18 weitere Jahre betrieben werden. Das ist kaum zu verstehen.

Kohleausstieg nicht Suventionierung der RWEDas Gesetz sieht einen etappenweisen Ausstieg vor. Danach soll die Reduktion von 15 Gigawatt Kraftwerksleistung (30%) in knapp drei Jahren möglich sein, während der Abbau von weiteren 30% über acht Jahre gestreckt werden soll und für die letzten 40% noch einmal 8 Jahre veranschlagt werden? (1)

Der Verdacht liegt nahe, dass es um die Höhe von Entschädigungen geht. Zunächst werden die schon abgeschriebenen Kraftwerke stillgelegt, was ja richtig ist. Die Verlängerung der Laufzeiten für die übrigen hat wohl den Grund, dass sie erst in diesem Zeitraum ans Ende ihrer Abschreibungszeit kommen und die neueren Kraftwerke eben noch später. Das jetzt neu ans Netz gehende „Datteln 4“ hätte erst 2050 die Lebensdauer von 30 Jahren erreicht. Anhand der verbliebenen Laufzeit kalkulieren die Konzerne ihre „entgangenen Gewinne“ , die phantasierten Einnahmen in der errechneten Zukunft.

An diesen Maßstab scheint sich auch die Regierung zu halten. Er wurde durch die von den Betreibern maßgeblich bestimmte Kohlekommission vorgegeben, hinter der sich die Regierung nun versteckt.

4,3 Milliarden Entschädigung für die Beschäftigten?   Nein, natürlich für die Eigentümer!

Wer erpresst hier wen? Aufgrund der vertraglich mit den Konzernen ausgehandelten Entschädigungen verzichten diese auf eine Klage vor „internationalen Schiedsgerichten!“ – Was bleibt hier eigentlich noch vom „Rechtsstaat“ übrig?

„Kritiker bemängeln“ – schreibt Zeit online - „dass die aus den Gesetzen folgenden vertraglichen Regelungen mit den Energiekonzernen so gefasst sind, dass die nächsten Bundesregierungen den Ausstieg nicht nachträglich noch beschleunigen können – ohne dass die Konzerne nachverhandeln werden. Wenig wahrscheinlich ist daher, dass etwa der Braunkohletagebau Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen vorzeitig schließt“.(2)

Die Entschädigung der Kraftwerkseigentümer und die Zuständigkeit internationaler Schiedsgerichte ist grundsätzlich infrage zu stellen!

Wenn „der Markt“ – d.h. die Stromverbraucher – nur noch Ökostrom nachfragen würden, was sie ja auch zunehmend tun, würden sich der Abbau und die Verstromung von Kohle nicht mehr rentieren – das ist für ältere Kraftwerke ja schon der Fall. Wen könnten Kohlebetreiber dann verklagen?  Wenn aber die Mehrheit der gewählten Abgeordneten aufgrund der lebensbedrohenden Auswirkungen dieser Technologie deren Ende beschließt, hat das zur Folge, dass der Staat erfolgreich auf Entschädigung verklagt werden kann.

Was ist hier los?! Wo bleibt der Protest!
Von Ökologen und Politikern der Grünen wird die Entschädigung offensichtlich als unvermeidlich hingenommen. Auch von anderen Kritikern des Ausstiegsgesetzes wird lediglich die Höhe der Entschädigungen beanstandet mit dem an sich richtigen Argument, dass sie zu hoch seien, denn die Gewinne der Konzerne würden ja eh perspektivisch zurückgehen. Was diese Kritiker aber akzeptieren ist der Entschädigungsanspruch überhaupt und dessen „Maßstab“: die „entgangenen Gewinne“. Überträgt man diese Logik auf „die Märkte“, dann könnten Firmen ihre Konkurrenten, die sie durch billigere oder bessere oder gesündere Produkte vom Markt verdrängt haben, auch auf entgangene Gewinne verklagen. Das erscheint absurd, aber keine andere Logik liegt dem justiziablen Anspruch der Kohlekonzerne zugrunde – und das nur, weil es der Staat ist, der im Interesse der Allgemeinheit die Notbremse zieht, wobei gleichzeitig nicht infrage steht, dass nur der Staat so handeln könne und handeln müsse.

Aber ist es nicht die Aufgabe des Staates, das öffentliche Wohl zu schützen, nicht die Renditen von Aktionären?
Die Maßnahmen zur Renaturierung der Tagebauwüsten müssten folglich die Konzerne tragen. Die Aufgabe des Staates, der die Stilllegungen verfügt hat, kann lediglich darin bestehen, deren soziale Folgen abzufedern.

Welche Menschen sind betroffen?

Die Arbeitnehmer: in der überwiegenden Mehrheit sind es die Arbeiter und Angestellten der Kohleindustrie. Für sie muss Geld bereitgestellt werden, z.B. für Umschulungen, um sie in Wachstumsbranchen unterzubringen. Gibt es hier Pläne?
Ja, sagt die Bundesregierung: „Beschäftigte, die mindestens 58 Jahre alt sind und durch den Kohleausstieg ihren Arbeitsplatz in einem Kraftwerk oder Tagebau verlieren, können ein Anpassungsgeld erhalten. Dieses wird als Überbrückungshilfe längstens fünf Jahre bis zum Eintritt in die Rente gezahlt. Möglicherweise eintretende Rentenabschläge, die durch eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente entstehen, können ausgeglichen werden.“ (3) Was wird für die Jüngeren getan?
Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg sollen insgesamt 40 Mrd. Euro erhalten, um ihre Wirtschaft sowie den Umbau der Infrastruktur zu bewältigen. (4) Völlig tabu ist die Frage der Verkürzung der allgemeinen Arbeitszeit. Die Kohlebranche ist doch nur der Anfang, die Autoindustrie wird bald massenhaft Kollegen entlassen. Für diese zahlreichen Jobverluste müssen Arbeitsplätze her. Sie könnten durch Verkürzung der Arbeitszeit vermehrt werden.

Das leitende Management: Es wird höchstwahrscheinlich andere lukrative Posten finden aufgrund seiner außerordent-lichen Erfahrungen im Ausbeuten nicht nur von Naturschätzen, sondern auch von Menschen und aufgrund der Verzahnung von Wirtschaft und Politik.

Die Aktionäre: Die haben sich einfach verspekuliert. Bekommen sie denn auch sonst Staatsknete, wenn die Kurse ihrer Aktien fallen? Wer sind die Aktionäre in dieser Branche? Beispiel RWE: 13% darin sind Privatanleger; sogenannte „institutionelle Anleger“ halten 86% von RWE, darunter z.B. die Stadt Essen 3%, sowie Vermögensverwalter wie Black Rock 7%, Versicherungen usw.  Allein 68% werden von Anlegern aus USA, Kanada, UK, Irland gehalten, nur 24% von deutschen Institutionen.

Was wir bräuchten: Vergesellschaftung der Energieversorung, z.B. nach Artikel 15 GG ; mit Entschädigung unter Marktpreis; denkbar wäre eine Überführung in belegschaftsgeführte Stiftungen mit dem politischen Auftrag der Konversion.

 

Anmerkungen:

(1) Der Zeitplan in der Übersicht (Quelle: Info der Bundesregierung zum Kohleausstiegsgesetz) Zur Zeit sind in Deutschland knapp 28 Gigawatt Leistung für die Steinkohleverstromung und etwas über 21 Gigawatt für die Braunkohleverstromung installiert, d.h. zusammen 44,9 GW, das sind 21% der Stromkapazität. (1GW = 1Gigawatt = 1000 Megawatt = 1MioKilowatt)

Leistung und Reduktion Gigawatt

Der erste Überprüfungstermin der Abschaltungen sollte 2023 sein – das hat die Bundesregierung gestrichen und auf 2026 verschoben!
Siehe: Interview von Annalena Baerbock: „Da sind viele kleine Fallstricke in diesem Gesetz“ im Deutschlandfunk am 6.7.2020
Einen Vergleich der Stromerzeugung der verschiedenen Energieträger in Deutschland für 2014 und 2019 gibt es bei Wikipedia unter „Installierte Leistung“

(2) Zeit online 3.7.2020: „Bundestag beschließt Kohleausstieg bis spätestens 2038,

(3) Info der Bundesregierung zum Kohleausstiegsgesetz

(4) Zeit online, a.a.O.