Mindestlohn: nicht unter 14 Euro - Rente: nicht unter 1200 Euro

Unsere Aktionsgruppe Verteilungsgerechtigkeit trifft sich jede ersten Donnerstag im Monat um 19:00 Uhr im „Ausspann“.

Von Helmuth Weiss   20.03.2019

Skandal Ushi muss gehenVorweg eine Einschränkung: Da das Thema Verteilungsgerechtigkeit in fast alle anderen Themenbereiche hineinragt, die Gegenstand eigenständiger Arbeitsgruppen sind – sei es beim Thema Frieden der Militärhaushalt oder beim Thema Umwelt die Kosten für den Kohlekompromiss etc. etc. - geht es im Folgenden zunächst um eine Beschränkung auf einige wesentliche Aspekte jenseits der anderen Gruppen.

Die Zahl der Analysen über die ungerechte Verteilung des Reichtums in unserer Gesellschaft ist innerhalb der fortschrittlichen Bewegung riesig, auch die Zahl der Vorschläge was und in welchem Umfang geändert werden müsste. Beispiele sind die Vorschläge der Partei Die Linke, Analysen bei den Nachdenkseiten oder bei Makroskop etc. etc. Alle diese Vorschläge zu einem Gesamtkonzept zusammen zu fügen, ist ohne Zweifel ein vernünftiges Vorgehen, denn nur so kann die Abhängigkeit verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche und auch die Praktikabilität der Vorschläge und Forderungen aufgezeigt werden. An diesem Gesamtkonzept sollte Aufstehen Bremen mitwirken, nimmt man das Konzept basisdemokratischen Vorgehens bei Aufstehen ernst und will nicht alles einer irgendwie gearteten Zentrale überlassen.

Dennoch: Der Schwerpunkt unserer Arbeit sollte im Augenblick woanders liegen.

Ein zentrales Anliegen von Aufstehen ist es, über die bereits politisch und gesellschaftlich Aktiven in unserer Gesellschaft hinaus Menschen anzusprechen, die sich bisher politisch (im weitesten Sinne) nicht oder kaum betätigt haben, die sich im bestehenden Politikangebot nicht oder nur unzureichend wiederfinden und deshalb keine Anlaufstelle haben, ihre Ideen, ihre Probleme und Anliegen vorzubringen und gemeinsam mit anderen an Lösungen zu arbeiten.

bremer tafel sozialstaatDazu ist es erforderlich, sich zunächst einmal auf einige zentrale Probleme bzw. Forderungen zu konzentrieren, die vielen Menschen auf den Nägeln brennen. Wir müssen also anknüpfen an die Alltagsprobleme und Alltagssorgen einer Vielzahl von Menschen, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und all das in nachvollziehbaren Formulierungen und Forderungen bündeln, in denen sich viele wiederfinden. Das wird immer auch bedeuten, mit widersprüchlichen Ansprüchen umzugehen, im positiven Sinne zu streiten, und die eine oder andere lieb gewonnene Ansicht über Bord zu werfen.

Gerade in der Linken ist die Meinung weit verbreitet, man müsse nur die besseren Argumente haben, eingebettet in ein ausgefeiltes Gesellschaftskonzept, um Mehrheiten in politischen Fragen gewinnen zu können. Doch das allein genügt nicht. Die weitgehende Erfolglosigkeit der politischen Linken in der Vergangenheit spricht eine andere Sprache.

Um es noch einmal deutlich zu wiederholen: ein politisches Gesamtkonzept ist wichtig und sinnvoll. Es wird jedoch kein Gehör finden, wenn es uns nicht gelingt, die vielen Betroffenen auf emotionaler Ebene anzusprechen, Anknüpfungspunkt in ihrem Lebensalltag zu finden. Wir müssten es eigentlich aus der Lernpsychologie und Hirnforschung wissen: Die Bereitschaft, Argumenten gegenüber aufgeschlossen zu sein, also die kognitive Ebene überhaupt wirksam werden zu lassen, die Bereitschaft zu eigenem, aktiven Handeln kann nur geschaffen werden, wenn die emotionale Basis dafür bei den Menschen vorhanden ist bzw. geweckt werden kann. Politik hat mehr mit Gefühl zu tun, als es sich viele vorstellen können.

kinder in armutWas heißt das konkret ?

Wir müssen an Alltagsproblemen der Menschen anknüpfen, wie oben bereits formuliert, und dafür klare, schnörkellose Antworten haben, die sich vom üblichen Politikergewäsch unterscheiden.

Die Menschen, die diese politischen Forderungen aufstellen und damit in die Öffentlichkeit gehen, müssen als authentische Personen wahrgenommen werden. Also nicht als Personen, die nur nach dem nächsten politischen Job Ausschau halten. Es ist also wichtig, dass die potentiell Interessierten – sei es auf der Straße oder im Netz – auf Menschen wie du und ich treffen, die eben nicht bereits alles vorab wissen und den Betroffenen ein fertiges Konzept überstülpen wollen. Die durchaus selber viele Fragen haben, nicht auf alles eine fertige Antwort geben können und vor allem zu einem fähig sind: sie müssen zuhören können, die Menschen ernst nehmen, die Bereitschaft zeigen, von ihnen zu lernen und im Zweifel auch eigene Positionen verändern können.

Das alles spricht nicht dagegen, dass es in einer politischen Bewegung immer auch Personen geben muss, die das politische Gesamtkonzept in ihrer Person in der medialen Öffentlichkeit repräsentieren, ihm sozusagen eine menschliche Gestalt geben, die das politische Projekt symbolisiert. Die Gelbwesten in Frankreich sind ein gutes Beispiel dafür. Allerdings nur, wenn die Anbindung an basisdemokratische Entscheidungen gegeben ist, denn sonst endet es im üblichen Politikerzirkus.

Was bedeutet das für das Thema Verteilungsgerechtigkeit

Eine Bewegung für eine gerechtere Gesellschaft muss Forderungen aufstellen, die relativ schnell und einfach umzusetzen wären, leicht verständlich sind und den Weg für weitere gesellschaftliche Veränderungen offen halten.

Für einen „Forderungskatalog“ bedeutet das, sich – zumindest auf kürzere Sicht - auf finanzielle Forderungen zu konzentrieren. Mehr Geld für den Einzelnen bedeutet einfach, zumindest ein Stück weit besser selbstbestimmt im Leben klar zu kommen – und Verbesserungen nicht auf eine unbestimmte Zukunft zu verschieben. Weitergehende und tiefgreifende strukturelle Veränderungen müssen selbstverständlich folgen.

faire rentenVier zentrale Forderungen, die die Interessen aller Generationen und großer Teile der Gesellschaft beinhalten, könnten zunächst im Mittelpunkt stehen:

  1. Eine menschenwürdige Mindestrente für alle, z.B. mit dem Slogan: „Nicht unter 1200 !“
  2. Ein Mindestlohn, der eine einigermaßen normale Lebensführung ermöglicht und Altersarmut verhindert, z.B. mit dem Slogan: „Nicht unter 14 Euro!“
  3. Ein Mindestausbildungsvergütung, die deutlich über den von den Gewerkschaften geforderten 660 Euro liegt.
  4. Ein gleiches, höheres Kindergeld für alle.

 

 

 

sarah zu Hartz IVÜber die Höhe der Zahlungen müsste man natürlich noch ausführlich diskutieren, ebenso die Frage, wie man die HartzIV-Thematik integriert.

Dass mit diesen Forderungen Anknüpfungspunkte in der Gesellschaft vorhanden sind, bestätigen jüngste Umfragen. Im ARD Deutschland Trend von Mitte Februar befürworten es zwei Drittel der Befragten, dass Geringverdiener eine Grundrente erhalten und sogar 80 % der Befragten halten den Vorschlag eines Mindestlohns von 12 Euro für grundsätzlich eine gute Idee. Laut einer Umfrage der OECD machen sich vier von fünf Deutschen Sorgen um ihre Altersvorsorge.

 

 

 

Es zeigt sich also, dass das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen weitaus entwickelter ist als das unserer verantwortlichen Politiker und Eliten. Daran sollten wir mit unserer Forderungen anknüpfen.

Eine „Liste“ der extremen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten wäre unendlich lang. Im Folgenden nur ein winziger Ausschnitt der unerträglichen Verteilungsungerechtigkeit, wie sie im jüngst veröffentlichten Oxfam-Umgleichheitsbereicht zu finden sind:

  • Das Vermögen der Milliardäre ist pro Tag um durchschnittlich 2,5 Milliarden Dollar gestiegen. Hierzulande haben die Milliardäre ihr Vermögen im vergangenen Jahr um 20 % gesteigert !!!
  • foto armut in europaDie ärmere Hälfte der Menschen verlor im Durchschnitt 500 Millionen Dollar pro Tag
  • Im Durchschnitt besitzen Männer 50 % mehr Vermögen als Frauen
  • Knapp die Hälfte der Menschen lebt von maximal 5,50 Dollar pro Tag
  • Das reichste Prozent der Bevölkerung verfügt in Deutschland über genau so viel Vermögen wie die 87 ärmeren Prozent. Wir gehören damit zu den Industrienationen mit der größten Vermögensungleichheit
  • Die Armutsquote liegt mit 15,8 Prozent auf dem höchsten Stand seit 1996, jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen
  • Frauen verdienen im Schnitt 21,5 % weniger als Männer
  • In reichen Ländern sind die Spitzensteuersätze zwischen 1970 und 2013 von durchschnittlich 62 auf 38 % gefallen

Die Frage der Finanzierung

Die Gegenargumente in der gesellschaftlichen Diskussion sind bekannt: Das sei alles nicht finanzierbar und deshalb auch populistisch. Es muss also unsere Aufgabe sein, dem entgegen zu treten und zumindest einige primäre Finanzierungsmöglichkeiten vorzustellen.

Da könnte ausnahmsweise auch ein Blick in die USA für uns hilfreich sein. Anknüpfend an die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez in den USA, die im Augenblick so etwas wie ein Aushängeschild des linken Flügels der Demokraten ist und in kurzer Zeit ungeheure Popularität errang, könnte ein Spitzensteuersatz von 70 % für Reiche, wie sie ihn fordert, auch für uns eine zentrale Forderung sein.

Oder man beschäftigt sich näher mit der Forderung des Ökonomen Thomas Piketty – der mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ eines der wichtigsten ökonomischen Werke der vergangenen Jahre publiziert hat. Er fordert bei hohen Einkommen einen Spitzensteuersatz von 80 % und eine progressive Besteuerung von Vermögen, die Milliardäre mit einem Steuersatz von 10 % und mehr „belasten“ soll.

pflegekollaps drohtBerechnungen aus dem Jahr 2016 (Bach u.a.) haben sich mit einer möglichen Vermögenssteuer beschäftigt. Ohne ins Detail gehen zu wollen: Bei einem Freibetrag zwischen 500 000 und 2 Mio. Euro liegt das Aufkommen zwischen 11 und 25 Milliarden Euro jährlich !!! Das Interessante dabei: Die Vermögenssteuer steht komplett den Bundesländern zu!!! Von einer solchen Vermögenssteuer wäre fast ausschließlich das reichste Prozent der Bevölkerung betroffen, bis zu 90 % davon würden sogar nur die reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung betreffen.

Dabei ist die Frage einer gerechten Erbschaftssteuer noch gar nicht thematisiert. Allein schon mit einer gerechteren Besteuerung der obersten 1 % der Vermögenden würden also deutliche Umverteilungsmaßnahmen möglich sein und ansehnliche Finanzmittel bereit stehen. Mit einer Konzentration unserer Forderungen auf die Superreichen und sehr gut Verdienenden würde man dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen entsprechen.

Dem üblichen Vorwurf, dass wir damit nur eine Neiddebatte schüren würden – denn Neid ist ja bekanntlich ein negatives Gefühl – sollte man in aller Gelassenheit entgegentreten. Es geht nicht um Neid, sondern um Gerechtigkeit, die steht im Zentrum unserer Forderungen.