Zur offiziellen Beendigung der archäologischen Grabungen auf dem Gräberfeld für sowjetische Zwangsarbeiter an der Reitbrake

Bahnwerkstatt auf LeichenPressemitteilung der BI Oslebshausen und Umzu und des Bremer Friedensforums zur offiziellen Beendigung der archäologischen Grabungen auf dem Gräberfeld für sowjetische Zwangsarbeiter an der Reitbrake

Bremen. Mit einer Abschlussveranstaltung will die Bremer Landesarchäologin die insgesamt 16-monatigen Grabungen am kommenden Sonntag, 16. Oktober, in Oslebshausen beenden. Aus  diesem Anlass erneuern die Bürgerinitiative Oslebshausen und das Bremer Friedensforum ihre Forderungen bezüglich des weiteren Umgangs mit dem Gräberfeld sowjetischer Naziopfer und der geplanten Bebauung mit einer Bahnwerkstatt - am Sonntag auch vor Ort an der Reitbrake (Treffpunkt 15.30 Uhr).

Keine Bahnwerkstatt

Die Funde in den letzten Wochen von vermutlich insgesamt 63 vollständigen Skeletten auf dem "Russenfriedhof" hat die Situation nach Ansicht von Bürgerinitiative und Bremer Friedensforum völlig verändert. Ging es vorher nur um einige menschliche Knochen und Erkennungsmarken, seien jetzt entgegen allen Erwartungen Massengräber gefunden worden. Bürgermeister Bovenschulte hatte im November 2021 erklärt, dass mit dem Fund eines vollständigen Skelettes neu nachgedacht werden müsste.

Bürgerinitiative Oslebshausen und Bremer Friedensforum fordern:

  • Das Einsetzen einer unabhängigen Expertenkommission, bestehend aus Historikern, Völkerrechtlern, Ethikern sowie Vertretern von Opferverbänden, da der Bremer Senat hier wirtschaftliche Interessen verfolgt (In-Wert-Setzung des Grundstücks) und die BI Oslebshausen auch aus anderen Gründen keine Bebauung des Grundstücks will. Beide Seiten sind also bei der Beurteilung der Problematik nicht wirklich objektiv. Die Empfehlungen einer derartigen Kommission sollten von allen Beteiligten akzeptiert werden.
  • Die Fortsetzung der Suche nach den insgesamt 300 vermissten Leichnamen, für deren Verbleib man nach wie vor keine plausible Erklärung hat.
  • Die Erweiterung der Suchfläche auf den ursprünglich beantragten Friedhof (20.000 qm Grundfläche).
  • Eine Entscheidung über den Verbleib der gefundenen Überreste erst frühestens nach Abschluss der wissenschaftlichen Auswertung der Grabungen.
  • Die Zusammenarbeit mit der BI Oslebshausen und dem Bremer Friedensforum, durch deren Recherchen die archäologischen Grabungen erst ermöglicht worden sind.
  • Die Errichtung einer Mahn- und Gedenkstätte mit einem Dokumentationszentrum auf der Kriegsgräberstätte.
  • Die Freihaltung der Kriegsgräberstätte von allen Bauten, die mit der Würde des Ortes nicht vereinbar sind.
  • Die Sicherung eines alternativen Standortes für die Bahnwerkstatt.

Kritik an der Landesarchäologin

Außerdem missbilligen die BI Oslebshausen und das Bremer Friedensforum die von der Landesarchäologin vertretene Privatmeinung in der Fernsehsendung "Buten un Binnen am 22. September zum Thema (https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/mehr-skelette-auf-bremer-russenfriedhof-entdeckt-100.html). Hier sprach sich Professorin Uta Halle für die Bebauung mit einer Bahnwerkstatt aus, zu einem Zeitpunkt, wo die wissenschaftliche Auswertung der Grabungsergebnisse noch nicht einmal begonnen hat. "Damit wird die Trennung von wissenschaftlicher Untersuchung und politischem Willen aufgehoben. Die Öffentlichkeit fragt sich zurecht, wozu dann eigentlich der ganze Aufwand mit den Ausgrabungen vorgenommen wurde. Eine derartige Positionierung steht der Landesarchäologin unseres Erachtens in einem solchen öffentlichen Kontext nicht zu. Eine Befürwortung respektive Ablehnung einer Bebauung sollte Ergebnis von Empfehlungen einer entsprechend autorisierten Kommission sein", erklären Bürgerinitiative Oslebshausen und Bremer Friedensforum. 

Am Anfang der Untersuchungen hieß es von allen beteiligten Stellen, dass vor jeder Festlegung über den Bau einer Bahnwerkstatt erst die Ausgrabungen nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt und danach die Ergebnisse sorgfältig begutachtet und bewertet würden -  in einem dokumentierten und transparenten Prozess. Als Chefin der Landesarchäologie Bremen und als wissenschaftliche Leiterin der Ausgrabungen hatte Professorin Halle mehrfach erklärt, wenn sie nach der Dauer der Untersuchungen gefragt wurde: "Es dauert solange, wie es dauert." Mit diesen Äußerungen betonte sie ihre Unabhängigkeit als Wissenschaftlerin, garantierte die Seriosität der archäologischen Untersuchungen und gewann damit auch das Vertrauen einer kritisch gewordenen Öffentlichkeit. Von Anfang an war klar, dass von Seiten des Bremer Senats erheblicher Druck wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Bahnwerkstatt ausgeübt wurde, um die Untersuchungen abzukürzen. Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum: "Die Landesarchäologin hat bis heute nicht die Frage beantwortet, die es zu Beginn der Grabungen zu beantworten galt: Wo sind die über 300 vermissten Leichname geblieben? Solange diese Frage nicht beantwortet ist, darf sie nicht einfach aufhören zu suchen. Die Leichname sind da, nur eben nicht auf dem Kernfriedhof."

Des Weiteren missbilligt Dieter Winge von der Bürgerinitiative Oslebshausen das Verhalten von Professorin Halle auf der Sitzung des Beirates Gröpelingen am 21. September: "Auf dieser Beiratssitzung referierte Frau Halle über den aktuellen Stand der Grabungen und berichtete in der Sitzung von insgesamt 27 vollständigen Skeletten, die bis zu diesem Zeitpunkt gehoben worden seien. Diese Zahl bestätigte sie auf Nachfrage noch einmal explizit. Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits zwei Massengräber mit weiteren etwa 45 vollständigen Skeletten entdeckt worden. Die genaue Zahl wurde bis heute nicht veröffentlicht. Frau Halle hat auf der Beiratssitzung diese Funde verschwiegen. Ein derartiges Verhalten in einem politischen Gremium, das für eine angemessene Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Prozessen und für eine Information der Öffentlichkeit im Stadtteil sorgen soll, halten wir für ungeheuerlich. Dies führt dazu, dass das Vertrauen in Frau Halles Glaubwürdigkeit erschüttert ist."  

Durch dieses Verhalten verlasse die Landesarchäologin ihre Position als neutrale und unabhängige Wissenschaftlerin und ergreife in unangemessener Art und Weise Partei für eine Bebauung des Geländes, kritisieren Bürgerinitiative und Friedensforum und erinnern: Frau Halle führte auch die archäologischen Grabungen auf dem Schützenhof-Gelände an der Bromberger Straße durch. Von Ende 1944 bis April 1945 diente es als Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Etwa 700 Zwangsarbeiter wurden auf dem Hin- und Rückweg von dort zur Arbeit bei der AG Weser jeden Tag unter Bewachung quer durch Gröpelingen geführt. Wenig später sollten dort Garagen temporär für eine Zwischennutzung abgestellt werden. Frau Halle hat sich hiergegen  unmissverständlich klar positioniert. Der Weser-Kurier zitierte sie: „Ich finde es moralisch verwerflich, fast auf den Tag genau 75 Jahre nach der Befreiung dieser KZ-Außenstelle hier von einem Bauvorhaben zu sprechen.“ (rb.gy/h4ysar , rb.gy/pezvr8).

"Umso befremdlicher erscheint heute die Positionierung der Landesarchäologin für die Bebauung des Friedhofs an der Reitbrake mit einer Bahnwerkstatt. Wir empfinden ihr Verhalten in höchstem Maße als irritierend. Erklärbar wird ihr Verhalten nur, wenn man sich verdeutlicht, wer ihr Vorgesetzter ist. Bürgermeister Andreas Bovenschulte ist als Kultursenator auch verantwortlich für die Landesarchäologie. Der Bürgermeister hat sich bereits im November 2021 sehr frühzeitig für die Bebauung der Kriegsgräberstätte mit einer Bahnwerkstatt und gegen die Errichtung einer Gedenkstätte in Oslebshausen ausgesprochen. Der Gedanke, dass dort nun demnächst Gleise über den vergessenen sterblichen Überresten gelegt und Züge rollen werden, ist unerträglich", erklären Winge und Lentz abschließend.

HINTERGRUND

Für das Gelände in Oslebshausen soll eine Gedenkstätte konzipiert werden. In unmittelbarer Nähe zum wiederentdeckten Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterfriedhof lag die größte Ansammlung von Lagern für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in der Rüstungsstadt Bremen.

Der französische Schienenfahrzeughersteller Alstom beabsichtigt mit Unterstützung des Bremer Senats eine Bahnwerkstatt mit Abstellanlage in Bremen-Oslebshausen bis zum Jahr 2024 auf dem Gelände zu errichten. Die Investition ist Teil eines 760 Millionen Euro schweren Auftrags.

Alstom ist Rechtsnachfolgerin von mehreren Bahnherstellern wie der Linke-Hofmann-Werke. Einem Unternehmen, dass Zwangsarbeiter u.a. des KZ Groß-Rosen einsetzte.

Im Frühling vergangenen Jahres haben Bremer Friedensforum und Bürgerinitiative Osalebshausen die Behörden auf den zentralen Friedhof für sowjetische Kriegsopfer aufmerksam gemacht. Die Stadt Bremen hatte die Existenz vergessen und zunächst geleugnet. Die Aktivisten konnten bis heute über 400 sowjetische Opfer des Nationalsozialismus, die dort bestattet wurden, namentlich identifizieren. (rb.gy/y7g3xq , rb.gy/n51ele). Der Bremer Senat um Bürgermeister Andreas Bovenschulte hält an der Ansiedlung einer Bahnwerkstatt auf dem Areal der Kriegsgräberstätte fest. 

Grundlage der Nachforschung waren historische Ausarbeitungen von Harry Winkel und Peter-Michael Meiners (rb.gy/ofciot).

 

Literaturempfehlung:

Raul Hilberg, Sonderzüge nach Auschwitz, ISBN: 3-921426-18-9

Alfred Gottwaldt, Diana Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, ISBN 3-86539-059-5

Kartenmaterial, Grafiken und Bildmaterial:

Die Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu visualisiert mittels Datawrapper wichtige Zusammenhänge rund um die Themen Bahnwerkstatt und sowjetische Kriegsgräberstätte mit Datawrapper (www.datawrapper.com). Alle Darstellungen werden honorarfrei und frei zur weiteren Bearbeitung durch die Bildredaktionen auch auf der Plattform River (river.datawrapper.de) als Service zur Verfügung gestellt. Die Grafiken sind mit dem Suchbegriff „oslebshausen“ leicht zu finden.

Informationen zum Hannoverschen Bahnhof in Hamburg und der dortigen Gedenkstätte

https://hannoverscher-bahnhof.hamburg.de/der-bahnhof-als-deportationsbahnhof/8217758/deportation-nach-minsk-artikel/

https://goo.gl/maps/vsEGTpW83RVdeXez6

Umfangreiches Bild- und Videomaterial (u.a. mit Zeitzeugen) zum Stalag X D (310) Wietzendorf:

https://unrecht-erinnern.info/orte/stalag-x-d-wietzendorf/

https://gedenkstaettenfoerderung.stiftung-ng.de/de/forschung-dokumentation/wehrmacht-kriegsgefangene/kriegsgefangenenlager/storage/x-d-310-wietzendorf/

 

Zur Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu

Wir sind Anwohnerinnen und Anwohner von Grambke, Gröpelingen und Oslebshausen und setzen uns für die Lebensqualität in unserem Stadtteil ein. Als Bürgerinnen und Bürger eines überparteilichen Bündnisses machen wir gezielt auf unsere Belange aufmerksam.  Von der Politik fordern wir, sich intensiver mit den Belangen unseres Stadtteils zu befassen. Wir wollen beitragen, ökologische und soziale Lösungsalternativen für die drängenden Probleme unseres Wohnorts zu finden.

Pressekontakt: Dieter Winge Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Bremer Friedensforum

Das Bremer Friedensforum wurde 1983 in der Auseinandersetzung um den so genannten Nachrüstungsbeschluss der NATO gegründet. Regelmäßige Aktivitäten des Bremer Friedensforums, wie Ostermärsche, Mahnwachen zu den Jahrestagen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, Antikriegstagsveranstaltungen, aktuelle Themenabende und Unterschriftensammlungen, werden auf den monatlichen Treffen beraten und vorbereitet. Das Friedensforum versteht sich als Bürgerinitiative und als Teil der weltweiten Friedensbewegung und ist von Parteien und Organisationen unabhängig. Mit anderen Gruppen in Bremen und im Bund wird zusammengearbeitet. 

Pressekontakt: Ekkehard Lentz  Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.