Europawahl 2019 – was tun!

von Gerd Bock

rechteck blau Zitat BockDas „Thema“ Klimawandel hat die Wahlen entscheidend beeinflusst, also wird darauf von Parteien reagiert, aber von den meisten nicht etwa, weil es die Menschheit – und also auch die Menschen in Deutschland und Europa – vor die größte Herausforderung ihrer Geschichte stellt, nein, es geht darum, wie man es „kommunikativ“ so behandeln sollte, dass man trotz business as usual Wähler gewinnt oder wenigstens keine verliert.


• Ist es also, wie die CDU meint, ein Kommunikationsproblem, so kann man daraus schließen, dass sie ihre Blockadehaltung nur besser verpacken will.
• Und die SPD? Die hängt wie ein entzündeter Blinddarm an der Groko und kann ihre Versuche ein wenig Klimapolitik und ein wenig Sozialpolitik zu machen in dieser Konstellation schon vergessen. Auch die Sozialdemokraten meinen, sie hätten ihre guten Absichten nur nicht richtig rübergebracht und fragen sich nun: Nahles weg, aber wer dann?
• Die Grünen sind grün und freuen sich - mit etwas Bammel vor der großen Verantwortung. Dabei fragen sie sich: Machen wir´s mit Jamaika, also mit den notorischen Ausbremsern der Klimapolitik?! Und das, nachdem die Klimafrage tausende Wähler für Grün stimmen ließ in der Hoffnung, dieses Problem werde nun endlich angepackt!
• Und die Linken? Sie haben ein wenig Katzenjammer – sie sind sozial, weltoffen und für effektive Klimapolitik und verlieren doch Wählerstimmen. Sie scheinen ratlos.

Wo bleibt der Aufschrei: Wir stehen vor einer Menschheitsaufgabe!  Für Deutschland heißt das: Wir stehen vor der Aufgabe, unser ganzes Wirtschaftssystem umzubauen! Nennt man das „Strukturwandel“, so ist es noch untertrieben.

Was wir dafür brauchen, ist eine GRÜN-ROTE AGENDA!


Der soziale („rote“) Teil der neuen Agenda.


Der Umbau hin zur CO2-neutralen Wirtschaft wird Arbeitsplätze z.B. in der Kohleindustrie und der Autoindustrie kosten. Das macht Angst, besonders in dem eh schon abgehängten Osten Deutschlands. Nach der Wende haben die Ostdeutschen schon mal die Zerstörung ihrer Wirtschaft und den Verlust ihrer Arbeit erfahren. Nach dreißig Jahren ist die Deindu-strialisierung nicht beseitigt, viele Jüngere sind abgewandert, die Älteren sind inzwischen Rentner mit bescheidenem Auskommen, aber viele haben wieder Arbeit gefunden. Gerade sie, fühlen sich zurecht erneut bedroht. (1) Sie wählen kaum grün, viele fallen auf die Klima-leugnung der AfD herein und hoffen mit der Abwehr von Zuwanderung, einem neuerlichen sozialen Abstieg begegnen zu können. Das entfremdet sie zugleich von der Linken, die sie nicht mehr als Protestpartei in Vertretung ihrer Interessen wahrnehmen. Ohne die Absicherung der sozialen Perspektive der Ostdeutschen hat der Kampf gegen den Klimawandel in Deutschland keine Zukunft.  Der Umbau der Wirtschaft muss gesichert werden durch Ansiedlung von alternativen Indu-strien vor allem im Osten, durch Verkürzung der Arbeitszeit, und weitere soziale Maßnah-men, die Armut durch Umverteilung reduzieren, bezahlbares Wohnen ermöglichen und das entwürdigende Kontroll- und Strafregime von Hartz IV abschaffen. 

Einige ökologische Umbaumaßnahmen:

Energiepolitik:
• Ausstieg aus den fossilen Energien, dh. vor allem keine Kohleverstromung mehr!
• Weiträumiger, länderübergreifender Ausbau der Netze und erneuerbarer Energiegewin-nung um unökologische Speicherprobleme abzuwenden („small is not beautiful“(2)

Verkehrswende:
• Das heißt vor allem: weg vom Individualverkehr und Verlagerung zum öffentlichen Nahverkehr (E- Autos sind nicht die Lösung!)(3). In Bremen könnte eine Rot-Grün-Rote Koalition das Konzept der Initiative „Einfach Einsteigen“ umsetzen – ein Umlagen-finanzierter Nahverkehr als erster Schritt.
• Sofort muss und kann die staatliche Subventionierung von „Dienstwagen“ beendet werden(70% aller Neuzulassungen in Deutschland!)(4)
• wenn erforderlich: Vergesellschaftung der Autokonzerne (mit den Eisenbahnen hat es ja auch schon mal geklappt) (5)
• Wiederausbau der Bahn zur Flächenbahn.
• Einschränkung des Flugverkehrs (der wird immer noch steuerlich subventioniert!), u.a. der Inlandsflüge: 50% der Flüge in Berlin und 35% in München sind Inlandsflüge! (6)

Umstieg in der Landwirtschaft
• nicht industrielle Monokulturen fördern, sondern ökologischen Anbau und damit auch Verbilligung und Subventionierung von Öko-Lebensmitteln;
• Weg von der Massentierhaltung, Verteuerung der Futtermittelimporte und der Fleisch-preise. Und – warum nicht – einen Veggi-day, mit besonders günstigen Angeboten.

Keinen dieser Prozesse wird der Markt herbeiführen!
Wir brauchen stattdessen wieder eine handlungsfähige Politik und einen handlungs-fähigen Staat! Der Staat muss lenkend in die Wirtschaft eingreifen können. Mittel dazu sind Steuern, Gebote und Verbote und nicht zuletzt: Der Einsatz von Geld! Hier hat die neoliberale Entstaatlichungsideologie eine ihrer schlimmsten Bremsen eingebaut: Die Schuldenbremse! (7) Und auf europäischer Ebene: die fiskalischen Bremsen im Maastricht Vertrag! Von interessierter Seite (Finanzindustrie und Konzerne) sind die Steuerzahler verschreckt und geängstigt worden, die - aus ihrer individuellen Perspektive - Schuldenmachen für gefährlich halten und diese Sicht auf den Staat übertragen. Öffentlich wird die Angst vor den angeblichen Folgen staatlicher Verschuldung geschürt, sie führe angeblich zur Inflation.
Man sollte bedenken:
Schuldenfinanzierte staatliche Investitionen – die sonst unterbleiben – schaffen Wirtschaftswachstum und erhöhen wiederum die Staatseinnahmen. Solange Unterbe-schäftigung von „Produktionsfaktoren“ herrscht, führen Staatsausgaben nicht zu Preis-steigerungen, desgleichen, wenn Export auf den Binnenmarkt umgelenkt wird.
Unterbeschäftigung gibt es auch in Deutschland nicht nur als Arbeitslosigkeit, auch massen-haft als prekäre Beschäftigung.
Die Exportweltmeisterei hat auch die Schwäche des Binnenmarkts zur Grundlage und das Jahrelange deutsche Lohndumping!
Die EZB hat über zwei Billion Euro über Anleihenkäufe in die Wirtschaft gepumpt, um die Gefahr der Deflation zu beseitigen, mit nur mäßigem Erfolg – die Banken und die Wirt-schaft haben das Geld gern genommen, aber hauptsächlich in Finanzprodukte, weniger in produktive Anlagen investiert; so viel zur Funktion der Märkte!

Diese grundlegenden Erfordernisse müssen thematisiert werden:
• Absage an die „schwarze Null“,
• Stärkung des Binnenmarkts,
• staatliche Investitionen und Eingriffe in die Wirtschaft
• Soziale Absicherung des Wirtschaftsumbaus
• Umverteilung


Für Europa heißt das vordringlich
• sofort mehr nationalstaatliche Spielräume für eine alternative Wirtschaftspolitik einzuräumen, anstatt Gängelung durch Maastrichtkriterien und Fiskalpakt. (8)
• und perspektivisch: Eine Verfassung zu erarbeiten, die unter anderem die Europäische Zentralbank unter demokratische Kontrolle stellt (9) und die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs auf wirkliche Verfassungsfragen eingrenzt. (10)

Gerd Bock, Juni 2019

Anmerkungen:
(1) Philip Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus, S.90ff
(2) Interviews von Heiner Flassbeck: „Wachstum und Entwicklung für immer“
in: Makroskop Teil 1: 1.12.2016, Teil 2: 16-6. 2016, Zusammenfassung von mir unter:
Energiewende – „small is not beautiful“, Mail vom 28.4.2019
(3) Rainer Fischbach und Stefan Kissinger, Scheinlösung Elektroantrieb, in: Makroskop, 07.01.2019
(4) Winfried Wolf, Mit dem Elektroauto in die Sackgasse, S. 187
(5) a.a.O, S. 207f
(6) a.a.O. S. 202
(7) Gerd Bock, Der Irrsinn der „Schwarzen Null“ mail 11.3.2019,
Abkehr der Grünen von der „Schwarzen Null“?
So sehr vorsichtig in einem „Impulspapier“ von zwei Parlamentariern der Grünen im Bundestag_ Dr. Danyal Bayaz (im Finanzausschuss) und Anja Haiduk (Haushaltsausschuss und Stellvertretende Fraktionsvorsitzende): „Es ist ein Irrweg, die >Schwarze Null< schon als Symbol solider Haushaltsführung zu betrachten. Das sagen wir als Finanzpolitiker, die die Schuldenbremse grundsätzlich gutheißen.“ Lesenswert ihre Analyse des „Investitionsstaus“.
(8) Gerade soll Italien zum zweiten Fall Griechenland gemacht werden! siehe Heiner Flassbeck, Dolce Vita! Erneut auf der Intensivstation. Makrolskop 13.6.2019
(9) Wolfgang Krumbein, Staatsfinanzierung durch Notenbanken! Marburg 2018
(10) Dieter Grimm (ehem. Richter des Bundesverfassungsgerichts), Europa ja – aber anders, Zur Verfassung der europäischen Demokratie, 2016, S. 86ff